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Möglichkeiten der Anwendung sozialer Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe auf Bundesebene

Vorbemerkung der Fragesteller


Der Gesetzentwurf zur Novellierung des Vergaberechts sieht zukünftig soziale und ökologische Kriterien sowie Innovationen als zusätzliche Vergabekriterien vor. Allerdings hat das Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 3. April dieses Jahres zu einer starken Unsicherheit bezüglich der Berücksichtigung von sozialen Kriterien bei öffentlichen Aufträgen geführt. Aktuell steht die Vergabepraxis des Deutschen Bundestages auf dem juristischen Prüf- stand. Beim Ausschreibungsverfahren für die Fahrdienstleistungen hat die Vergabekammer des Bundes beim Bundeskartellamt die vertraglichen Regelungen zur Tariftreue und die Eigenleistungsquote nicht akzeptiert (Beschluss vom 15. Juli 2008). Die dagegen vom Deutschen Bundestag erhobene Beschwerde ist vom Oberlandesgericht Düsseldorf weitgehend zurückgewiesen worden.

Der Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Norbert Lammert, hat im Schreiben vom 7. Oktober 2008 an die Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie, Edelgard Bulmahn, im Zusammenhang der öffentlichen Anhörung zur Novellierung des Vergaberechts auf die Kritik im Präsidium und Ältestenrat hingewiesen, „dass offenbar nicht sichergestellt werden kann, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bei Dienstleistern für den Deutschen Bundestag beschäftigt sind, eine angemessene Vergütung erhalten und angemessene Arbeitsbedingungen haben“.

Durch diese Vorgänge haben die Auswirkungen der Reform des Vergabe- rechtes auf die Möglichkeiten von Bundesbehörden, soziale Kriterien anzuwenden, eine besondere Brisanz gewonnen.



Frage 1. Welche Möglichkeiten sollen den Verfassungsorganen und Bundesbehörden im Rahmen des von der Bundesregierung verabschiedeten Gesetzentwurfs zur Reform des Vergaberechts (vgl. Bundestagsdrucksache 16/10117) ein- geräumt werden, dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bei Dienstleistern der Verfassungsorgane oder der Bundesbehörden beschäftigt sind, z. B. durch die Anwendung von Tariftreueregelungen, eine angemessene Vergütung erhalten und angemessene Arbeitsbedingungen haben?

Frage 2. Wie bewertet die Bundesregierung die durch die Reform beabsichtigte Möglichkeit, soziale Kriterien bei der Vergabe zu berücksichtigen im Vergleich zu den geltenden Regelungen im Vergaberecht?

Antwort der Bundesregierung

Die Bundesregierung schlägt im Gesetzentwurf zur Modernisierung des Vergaberechts in § 97 Absatz 4 Satz 2 GWB-E vor, öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit zu eröffnen, insbesondere soziale, umweltbezogene und innovative Aspekte bei der Ausführung eines Auftrags zu berücksichtigen. Damit wer- den Vorgaben der EG-Vergaberichtlinien (Artikel 26 der Richtlinie 2004/18/EG und Artikel 38 der Richtlinie 2004/18/EG) in das nationale Recht übernommen. Nach dem Entwurf der Gesetzesbegründung können öffentliche Auftraggeber unter der Voraussetzung des § 97 Absatz 4 Satz 2 GWB-E beispielsweise eine angemessene Bezahlung zur Sicherstellung der Qualifikation von Wachpersonal fordern.

Ob Tarifbindung auf der Grundlage von Tariftreuegesetzen im Bereich des öffentlichen Auftragswesens mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, hat der Europäische Gerichtshof für den Bereich der Bauwirtschaft in einer Entscheidung vom 3. April 2008 (Rs. C-346/06, Dirk Rüffert/Land Niedersachsen) davon abhängig gemacht, dass die Voraussetzungen der Gemeinschaftsrichtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern (96/71/EG) erfüllt sind.


Frage 3. Plant die Bundesregierung, die Anwendung sozialer Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe durch Verfassungsorgane und Bundesbehörden durch entsprechende Richtlinien oder Arbeitshilfen zu erleichtern?

Frage 4. Welche gesellschaftlichen Organisationen oder Gruppen sollten bei der Erstellung entsprechender Richtlinien und Arbeitshilfen für die Anwendung sozialer Kriterien beteiligt werden?

Antwort der Bundesregierung

Arbeitshilfen zur Anwendung sozialer Kriterien bei der Auftragsvergabe plant die Bundesregierung derzeit nicht.


Frage 5. Wie bewertet die Bundesregierung die derzeit geltenden rechtlichen und organisatorischen Möglichkeiten zur Anwendung von Tariftreueregelungen durch Verfassungsorgane und Bundesbehörden?

Antwort der Bundesregierung

Die Bundesregierung verweist auf ihre Antwort zu den Fragen 1 und 2.


Frage 6. Wie bewertet die Bundesregierung den Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf vom 5. Mai 2008 (Az. VII-Verg 5/08), nach dem ein öffentlicher Auftraggeber von Bietern und Bieterinnen nicht einmal die Einhaltung von für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen fordern darf?

Antwort der Bundesregierung

Nach Auffassung der Bundesregierung ist ein Verstoß gegen einen für all- gemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag ein Rechtsverstoß, der die Zuverlässigkeit eines Unternehmens in Frage stellt und dazu führt, dass dieses Unternehmen vom Wettbewerb um einen öffentlichen Auftrag ausgeschlossen werden muss. Im Übrigen hält auch das Oberlandesgericht Düsseldorf im Beschluss selbst an seiner Rechtsauffassung nicht fest bzw. setzt diese Rechtsauffassung in Folgeentscheidungen nicht fort.


Frage 7. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um nach dem Rüffert-Urteil des EuGH vom 8. April 2008 Rechtssicherheit in Bezug auf die Anwendung von sozialen Kriterien wie z. B. Tariftreueregelungen im Vergaberecht zu schaffen?

Frage 8. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung auf europäischer Ebene, um die effektive Implementierung von sozialen Kriterien wie zum Beispiel Tariftreueregelungen als Vergabekriterien zu gewährleisten?

Antwort der Bundesregierung

Die Bundesregierung sieht derzeit für den Bund keinen Handlungsbedarf aus dem Urteil des EuGH für Rechtsänderungen auf der Ebene des nationalen oder europäischen Vergaberechts. Ob sich außerhalb des Vergaberechts vor allem im Hinblick auf die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22. Oktober 2008 zu den Herausforderungen für Tarifverträge in der EU (Andersson-Bericht) ein Handlungsbedarf ergibt, wird derzeit noch geprüft.


Frage 9. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union entsprechende Initiativen ergreifen wollen?

Falls ja, welchen Inhalt haben diese Initiativen?

Antwort der Bundesregierung

Der Bundesregierung ist nicht bekannt, ob andere Mitgliedstaaten entsprechende Initiativen ergreifen wollen.


Quelle: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 16/11181


Schlagworte zu diesem Beitrag: Mindestlohn, Öffentliche Beschäftigungspolitik
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 28.04.2009

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024