Berufliche WeiterbildungZurück zur ÜbersichtRede von Ingrid Sehrbrock, DGB Bundesvorstand Qualifizierung und Weiterbildung - Stiefkinder der Wirtschaft- Es gilt das gesprochene Wort -Sehr geehrte Damen und Herren, wir denken nicht so oft daran, aber: Arbeitszeit ist Lebenszeit. Für Sie und für mich, für unsere Mitarbeiter und natürlich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer insgesamt. Arbeitsqualität ist auch Lebensqualität. Deshalb sind Ansprüche der Beschäftigten an gute Arbeit und gute Arbeitsbedingungen berechtigt. Bei der beruflichen Weiterbildung bleiben die meisten Arbeitgeber - das zeigt der DGB-Index - aber weit hinter den Erfordernissen zurück. Während die Mehrzahl der Beschäftigten den hohen Wert der Weiterbildung für sich und ihr Unternehmen längst erkannt hat, gibt es Defizite bei den Unternehmen. Für den DGB-Index Gute Arbeit wurden rund 6.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus allen Regionen, Branchen, Einkommensgruppen und Beschäftigungsverhältnissen in Deutschland befragt. Beschäftigte legen besonders großen Wert auf Qualifizierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, nicht aber ihre Chefs. Das Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr Wissen und Können weiterentwickeln können, ist für sie mindestens genauso wertvoll wie für ihre Arbeitgeber. Denn damit steigern sie die Innovationsfähigkeit ihrer Betriebe und die Qualität ihrer Produkte. Für 70 Prozent der Beschäftigten sind gute Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten äußerst oder sehr wichtig. 68 Prozent beklagen aber, dass sie bei ihren Qualifizierungswünschen keine oder nur in geringem Maße Unterstützung durch konkrete Angebote erhalten. 55 Prozent der Befragten berichten darüber hinaus, Weiterbildung und Personalentwicklung hätten für ihre Vorgesetzten keinen oder nur geringen Stellenwert. Unsere Ergebnisse bestätigen die Tendenz in den Bildungsberichten und Studien zur Weiterbildung, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden. Im Einzelnen gilt:
Diese Ergebnisse unserer Befragung zeigen, dass – um es einmal positiv auszudrücken – die Weiterbildungspotenziale der Beschäftigten nicht annähernd genutzt werden. Auch in der Weiterbildung gilt das Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben. Gut ausgebildete und qualifizierte, junge Männer in Vollerwerbstätigkeit haben die Möglichkeit, ihr Wissen ständig zu aktualisieren. Wer in Teilzeit arbeitet, geringfügig beschäftigt ist oder nicht ausreichende Bildung in der Schule oder Erstausbildung erhalten hat, der hat auch später schlechte Chancen. Die Parteien, Wirtschaftsverbände und Unternehmen haben in den vergangenen Jahren immer wieder herausgestellt, dass es nicht nur an Qualifikation sondern auch an Motivation bei den Beschäftigten mangelt. Das ist eine Fehleinschätzung, wie folgende Umfrageergebnisse belegen:
Schlussfolgerungen : Es ist vorrangig Sache der Unternehmen, eine betriebliche Weiterbildungskultur zu etablieren. Das kann durch Weiterbildungstarifverträge unterstützt werden, wie es sie bereits in der Metall-Industrie, in der Chemischen Industrie und im öffentlichen Dienst gibt. In anderen Branchen muss der Widerstand vieler Arbeitgeberverbände noch überwunden werden. Ich nehme die Ergebnisse des DGB-Index zum Anlass, noch einmal die Arbeitgeber und ihre Spitzenorganisation BDA aufzufordern, einen Schritt über den Rubikon zu wagen und mit uns und den Gewerkschaften Impulse für die Förderung von Weiterbildungstarifverträgen zu setzen. Offenbar haben viele, gerade kleine und mittlere Unternehmen den hohen Wert der Weiterbildung für sich noch nicht entdeckt. Zudem gilt: In der aktuellen Situation mit überquellenden Auftragsbüchern ist die Bereitschaft, Mitarbeiter für Weiterbildungszwecke freizustellen, äußerst gering. Das Argument lautet: keine Zeit. Und bei einem späteren Abschwung wird uns sicher wieder das Argument vorgehalten: kein Geld. Gleichwohl: wir werden als Gewerkschaften noch stärker Druck machen, um Verbesserungen zu erreichen. Gefordert ist aber auch der Staat. Von ihm erwarten wir vor allem: 1. „Zweite Chance“: Förderung anerkannter Abschlüsse Diejenigen, die frühzeitig aus dem Bildungssystem ausgeschieden sind und deshalb nur eine niedrige formale Qualifikation haben, müssen als Erwachsene eine „zweite oder dritte Chance“ auf Erwerb eines formalen Abschlusses erhalten. Heute erfordert vermeintlich einfache Arbeit deutlich mehr Kompetenzen als früher. Deshalb besetzen Betriebe solche Arbeitsplätze lieber mit formal Qualifizierten. Es fehlen bislang geeignete Instrumente, um den Beschäftigtengruppen der gering Qualifizierten eine zweite Chance zu eröffnen. Einen neuen Ansazu bietet das Programm „Weiterbildung gering qualifizierter und älterer Arbeitnehmer in Unternehmen“ der Bundesagentur für Arbeit (WeGebAU 2007). Diese beitragsfinanzierte Maßnahme der BA muss durch ein steuerfinanziertes Instrument ergänzt werden, d.h. Maßnahmekosten und Lebensunterhalt beim Nachholen schulischer und beruflicher Abschlüsse von Erwachsenen sollen durch staatliche Zuschüsse oder subventionierte Darlehen gefördert werden. Um dem Ziel "Zweiter Chancen" näher zu kommen, hat der DGB deshalb vorgeschlagen, in einem ersten Schritt das sog. Weiterbildungs-BaföG, das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG) zu erweitern. Bisher beschränkt sich die Fördeurng auf anerkannte Fortbildung. Wir wollen, dass auch Erstausbildung und Zusatzqualifikationen gefördert werden. Auch in der Arbeit oder iim Ehrenamt erworbene Kompetenzen sollen berücksichtigt werden, wenn es um die Entscheidung geht, ob gefördert werden kann. 2. Betriebliche Weiterbildung: Förderung durch Lernzeitkonten/Arbeitszeitkonten Berufliche Weiterbildung benötigt Zeit. Wir wollen deshalb betriebliche Lernzeitkonten, auf denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Überstunden und Urlaubstage langfristig sammeln können. Sie sollen nicht ausschließlich durch Geld oder Freizeit ausgeglichen bzw. für einen vorzeitigen Ruhestand verwendet werden. Für alle Arbeitszeitkonten soll ein Freistellungsanspruch für Weiterbildung vorgesehen werden, also die angesparte Zeit für Weiterbildung genutzt werden können. Für den Fall der Insolvenz eines Unternehmens müssen diese Arbeits- und Lernzeitkonten abgesichert werden. Anreize für das Weiterlernen können darin bestehen, dass bei einer Mindeststundenzahl, die für Weiterbildung aufgewendet wird, die Kosten der Maßnahme gefördert oder übernommen werden. Dies kann staatlich oder tarifvertraglich geregelt werden. Dabei sollte auch eine Koppelung mit Bildungsprämien und Bildungsgutscheinen möglich sein. 3. Weiterbildung in KMU: Förderung durch Bildungsschecks Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bieten deutlich seltener Weiterbildung an als größere. Hierzu schlagen wir vor, die in Nordrhein-Westfalen erprobten „Bildungsschecks als Förderzuschuss für die Weiterbildung“ bundesweit anzubieten. Damit ist man auf dem richtigen Weg. Aufgrund bisheriger Erfahrungen sollten Bildungsschecks nur für anerkannte und zertifizierte Weiterbildungsträger und Maßnahmen sowie nur verbunden mit qualifizierter Beratung vergeben werden. Eine strenge Beschränkung auf berufliche Weiterbildung ist nicht ratsam. Eine saubere inhaltliche und institutionelle Trennung zwischen beruflicher und allgemeiner Weiterbildung ist kaum möglich. Denken Sie an Zeitmanagement oder Fremdsprachen. Hier gibt es immer einen betrieblichen und einen privaten Nutzen. Bildungsschecks sollten auch aus dem Bildungssparen aufgestockt werden können, um ihre Reichweite zu erhöhen. Schließlich sollte die in NRW bestehende Begrenzung auf Betriebe mit maximal 250 Beschäftigten geöffnet werden. Und übrigens: Weiterbildung hat auch sehr viel mit Wertschätzung der Arbeit und der Person zu tun. Wer ein gutes Qualifizierungsangebot in „freundlicher“ Umgebung wahrnehmen kann,versteht dies auch als Anerkennung seiner Leistung. Auch deshalb ist uns als DGB das Thema wichtig. Quelle: DGB-Index Gute Arbeit, Pressekonferenz am 22. Februar 2008 in Berlin Sie können die Sonderauswertung des DGB-Index Gute Arbeit zur Weiterbildung hier als pdf-Datei herunterladen. Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.04.2009 |
Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info Druckdatum: 25.04.2024 |