Allgemeine und politische Weiterbildung

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Teilnehmerzahlen bei Volkshochschulen stagnieren

Seit Anfang September besucht Andreas Neschel einmal die Woche den Computerkurs "Power-Point-Präsentationen" in der Volkshochschule in Berlin. Der 56-jährige Lehrer wollte nicht ständig auf technische Tipps seiner Kollegen oder Schüler angewiesen sein. Deshalb entschied er sich, in die Volkshochschule zu gehen. Aber Neschel ist eine Ausnahme: Zu viele Menschen in Deutschland erweisen sich nach dem Abschluss ihrer Schul- oder Studienkarriere als lernfaul. Nur rund ein Fünftel der sogenannten Erwerbspersonen nahmen 2006 an beruflichen Fortbildungen teil; kaum acht Prozent der Bürger bildeten sich in der Volkshochschule fort.

Nach einer Statistik des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) wurden 2005 gerade einmal sechseinhalb Millionen Anmeldungen für Volkshochschul-Veranstaltungen gezählt. Damit ist die Volkshochschule zwar noch immer Marktführer im Weiterbildungssektor - doch seit 2004 sinken die Teilnehmerzahlen.

Deutschlandweit gibt es ein Netzwerk von 978 Unterrichtsstätten der Volkshochschule. Einige der Bildungszentren sind eingetragene Vereine, andere operieren als Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Finanziert werden die Volkshochschulen zu 40 Prozent aus Teilnehmergebühren, den Rest der nötigen Mittel bezieht sie aus Landeszuschüssen, durch kommunale Unterstützung oder aus Projektmitteln.

Im bundesweiten Vergleich ist Niedersachsen das Land, in dem die Weiterbildungsdichte am höchsten ist. Im Durchschnitt entfallen auf 1000 Niedersachsen 268 Unterrichtsstunden jährlich. "Die Landesregierung nimmt ihr Erwachsenenbildungsgesetz sehr ernst", sagt Bernd Runge, stellvertretender Verbandsdirektor des Volkshochschulverbandes Niedersachsen. "Die Volkshochschulen in Niedersachsen wurden vom Land mit rund 21 Millionen Euro jährlich unterstützt." Auch in Bremen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg ist die Weiterbildungsdichte hoch. Schlusslichter im Volkshochschul-Ranking sind dagegen Hamburg und Brandenburg, die mit 80 Unterrichtsstunden pro 1000 Einwohner weit unter dem Bundesdurchschnitt liegen.

Dieser Negativtrend in der Erwachsenenbildung steht in krassem Widerspruch zu den Appellen der Politik. "Für jeden Einzelnen muss sich das lebenslange Lernen wie ein roter Faden durch den individuellen Lebens- und Bildungsweg ziehen", fordert etwa Bildungsministerin Annette Schavan. Auch Bundespräsident Horst Köhler fordert mehr Engagement der Bürger: "Lebenslanges Lernen ist für jeden Einzelnen die unabdingbare Voraussetzung dafür, mit den rasanten Entwicklungen in unserer Gesellschaft beruflich und privat Schritt halten zu können."

Das Desinteresse der Deutschen aber ist angesichts der sinkenden Nachfrage offenkundig. Die Volkshochschule räumt jedoch auch eigene Fehler ein. "Wir bemühen uns, jedem eine Möglichkeit zur Fortbildung anzubieten", sagt Kerstin Heidecke, Sprecherin des Deutschen Volkshochschul-Verbandes. "Aber in den Köpfen vieler Leute ist immer noch das alte Bild der Volkshochschule verankert, als würden wir hier ausschließlich töpfern, stricken und kochen - die Volkshochschule hat schlicht ein Imageproblem." Deshalb wolle sie nun ihr Angebot verjüngen und bekannter machen, um weiterhin attraktiv zu bleiben.

Zu dem aktuellen Programm der Volkshochschule gehören unter anderem schulische Prüfungen, die vom Hauptschulabschluss bis zum Abitur reichen und durch die entstandene Bildungsdefizite abgebaut werden können. Auch Deutschkurse stehen auf dem Programm. Damit möchten die Volkshochschulen Ansprechpartner für Menschen sein, die in Deutschland eine neue Heimat suchen. Für die berufliche Weiterbildung wiederum werden in Zusammenarbeit mit Universitäten anerkannte Sprachprüfungen angeboten, Teilnehmer können sich im Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung qualifizieren oder Kurse mit Abschlüssen der Industrie- und Handelskammern beenden.

"Wir arbeiten an neuen Konzepten, um unsere Erwachsenenbildung bekannter zu machen", sagt Heidecke. Noch würden die meisten Kurse von 35- bis 49-Jährigen wahrgenommen. Doch aufgrund des demografischen Wandels könnte die Klientel schon bald in höheren Altersstufen angesiedelt sein, auf die didaktische Methoden und Lerngeschwindigkeiten verstärkt abgestimmt werden müssten. "Die Volkshochschule muss da mit der Zeit gehen", sagt Heidecke. Sowohl junge als auch ältere Menschen sollten von dem Angebot angesprochen werden.

Die Bundesregierung will die Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland nun spürbar erhöhen. "Unser Ziel ist es, die Beteiligung der Bevölkerung an Weiterbildung bis zum Jahr 2015 auf 50 Prozent zu steigern", sagt Andreas Storm, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Fortbildungen für Arbeitnehmer sollen finanziell unterstützt werden, da anfallende Kosten oft ein Hindernis sind.

Andreas Neschel sitzt mit 15 weiteren Kursteilnehmern im Unterrichtsraum. Sorgfältig legt er Stift und Papier zurecht. "Für mich bedeutet Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen in erster Linie eine Art Vorsorge", sagt er und betont, wie wichtig dieser Kurs für ihn ist: "Durch die Volkshochschule stehe ich nicht vor einem Abgrund, wenn ich mich im Beruf neu orientieren muss."


Quelle. WAP, Homepage der IG Metall

Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 21.10.2007

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 29.03.2024