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Der besondere Förderbedarf von jungen Menschen mit Behinderung im Rahmen des Fachkonzeptes „Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen“ (BvB) der Bundesagentur für Arbeit (BA)

Einführung

Am 12. Januar 2004 hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) ein neues Fachkonzept zu berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (BvB) vorgelegt. Der ver.di Arbeitskreis Berufliche Rehabilitation Berufsbildungswerke/Berufsförderungswerke hat in einer kritischen Würdigung angemerkt:

„Die notwendige Reformierung der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen darf nicht dazu führen, dass junge Menschen mit Behinderungen in ihren Bildungschancen begrenzt werden. Eine Vergleichbarkeit mit dem Personenkreis der lernbeeinträchtigten und sozial benachteiligen Menschen führt zu diesem Ergebnis.

Eine Übertragung der „Maßnahmen die nach Inhalt, Art, Ziel und Dauer für die besonderen Erfordernisse des zuletzt genannten Personenkreises“ entwickelt wurden, stellt eine Benachteiligung in Bezug auf einen möglichen beruflichen Bildungsabschluss und für die Chancen der beruflichen und sozialen Integration für Menschen mit Behinderungen dar. Die Politik des „Nachteilausgleichs“ wird aufgegeben und das Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes unterlaufen.

Wir halten es deshalb für erforderlich, dass das Fachkonzept durch Regelungen für eine rehaspezifische BvB angepasst wird.“


Mit der Anlage 4 zum Fachkonzept BvB erfolgten Ergänzungen und Modifizierungen zum besonderen Förderbedarf von jungen Menschen mit Behinderung, welche 2004/2005 in den Berufsbildungswerken (BBWs) erprobt wurden.

Für die Weiterentwicklung nimmt der ver.di Arbeitskreis Berufliche Rehabilitation Berufsbildungswerke/Berufsförderungswerke, in dem Arbeitnehmer/ innen aus den beiden Bereichen der beruflichen Rehabilitation mitarbeiten, nachfolgend Stellung.

1. Eignungsanalyse bzw. Eingangsdiagnostik

Die Kritik an der zweiwöchigen Eignungsanalyse für Menschen mit Behinderung wurde in der Anlage 4 aufgegriffen. Für diesen Personenkreis beginnt die BvB mit einer „behinderungsspezifischen, bis zu dreiwöchigen Eingangsdiagnostik als wesentliche Grundlage der Förderung und der fortschreibenden Verlaufsdiagnostik“.

Diese für die Förderung von Menschen mit Behinderung notwendige Modifizierung wird begrüßt. Für die Umsetzung ist es erforderlich, dass die Eingangsdiagnostik ein obligatorischer Bestandteil der Grundstufe (=> Verlaufsdiagnostik) ist und deshalb nach den ersten drei Wochen keine Genehmigung der Beratungsfachkraft der BA für die Fortführung der Grundstufe notwendig ist.

Da eine gesicherte Aussage über die Eignung und Neigung erst während der Verlaufsdiagnostik möglich ist, wird vorgeschlagen, dass nach 6 – 8 Wochen ein vorläufiger individueller Qualifizierungsplan mit der Beratungsfachkraft besprochen wird.

2. Grund- und Förderstufe

Während der Grundstufe erfolgt für Menschen mit Behinderung die Verlaufsdiagnostik (siehe oben). Nach der Grundstufe wird die weitere Qualifizierungsplanung mit der Beratungsfachkraft abgestimmt und von dieser genehmigt.

Eine unsichere Prognose zur Bildungsfähigkeit bzw. zur Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und eine vorzeitige Beendigung der BvB erfordert eine abgesicherte Diagnostik, die i. d. R. während der Grundstufe erfolgt. Ist dies aufgrund der behinderungsbedingten Einschränkungen nicht möglich, soll eine Klärung während der Förderstufe erfolgen.

3. Übergangsqualifizierung

Nach der Anlage 4 ist eine Übergangsqualifizierung nur für eine „vertiefende Vorbereitung auf eine betriebliche Ausbildung oder den Übergang in Arbeit“ möglich. Diese Einschränkung benachteiligt Menschen mit Behinderung, die für die Absolvierung einer Ausbildung auf die besonderen Hilfen nach § 102 SGB III angewiesen sind und für das Erreichen der Ausbildungsfähigkeit mehr Zeit benötigen.

Die Übergangsqualifizierung muss deshalb auch als vertiefende Vorbereitung auf eine überbetriebliche Ausbildung im Rahmen von BüE oder als Reha-Maßnahme nach § 102 SGB III ermöglicht werden.

4. Stabilisierungsstufe

Zu den Inhalten der Stabilisierungsstufe sollten als Hinweis noch die Unterstützung in Bezug auf eine ggf. erforderliche Arbeitsassistenz und die Information über Lohnkostenzuschüsse aufgenommen werden. Der letztgenannte Punkt ist erfahrungsgemäß schon für die Akquise von betrieblichen Ausbildungsstellen wichtig.

Die Dauer der Stabilisierungsstufe ist entsprechend der Verlängerung der Probezeit durch die Reform des BBiG auf 4 Monate zu verlängern. In Abhängigkeit von der Art und Schwere der Behinderung sollte für Einzelfälle eine Verlängerung ermöglicht werden, wenn ansonsten die Fortsetzung der betrieblichen Ausbildung bzw. Arbeit gefährdet ist.

5. Qualifizierungsbausteine

Der Ansatz der zertifizierten Qualifizierungsbausteine, das Vorziehen von Ausbildungsinhalten und die Anrechnung auf die Ausbildungszeit berücksichtigt die besonderen Belange der Menschen mit Behinderungen nicht.

In einer rehaspezifischen BvB befinden sich Teilnehmer/innen, deren Ausbildungseigung für einen bestimmten Beruf sich erst am Ende der Grundstufe oder später ergibt und deren Ausbildungsfähigkeit erst während der Förderstufe bzw. der Übergangsqualifizierung erreicht wird.

Qualifizierungsbausteine im Rahmen der rehaspezifischen BvB sollten deshalb spezielle berufsfachliche Kompetenzen fördern, die für die Ausbildung erforderlich sind. Eine Verkürzung der anschließenden Ausbildung kann aber i. d. R. nicht erfolgen, da durch die rehaspezifische BvB erst behinderungsbedingte Einschränkungen und Nachteile ausgeglichen werden.

6. Förderdauer

Für Menschen mit Behinderungen, insbesondere bei einer ausgeprägten Lernbehinderung, einer Verhaltensauffälligkeit oder psychischen Behinderung ist es erforderlich, dass Unterbrechungen in der Förderung unterbleiben. Ein nahtloser Übergang von der Schule in eine BvB und anschließend in eine Ausbildung, eine Arbeit oder eine andere Maßnahme muss von der Zeitplanung gewährleistet werden.

Die Grundstufe (inkl. der Eingangsdiagnostik) und die Förderstufe müssen zusammen 12 Monate dauern können. Auch für die Übergangsqualifizierung ist eine Dauer von 12 Monaten vorzusehen.

Durch den nahtlosen Übergang und die Kontinuität der Förderangebote werden Rückschritte in Bezug auf den erreichten Leistungsstand, den erarbeiteten Strukturen sowie die Arbeits- und Ausbildungsfähigkeit vermieden.

Die Förderdauer muss sich insgesamt am individuellen Förderbedarf des Einzelnen orientieren, weshalb die zeitlichen und inhaltlichen Vorgaben für die Grund- und Förderstufe sowie für die Übergangsqualifizierung und Stabilisierungsstufe keinen abschließenden Charakter haben dürfen und in begründeten Einzelfällen individuelle Regelungen zulassen müssen.

7. Bildungsbegleitung

Einige Aufgaben der Bildungsbegleitung wurden auch schon in der Vergangenheit durch die verschiedenen Fachdienste in den BBWs als besondere Leistung erbracht. Dies bezieht sich insbesondere auf die teilnehmerorientierte Begleitung und die Dokumentation der Diagnostik und Förderung sowie das Berichtswesen gegenüber der Beratungsfachkraft.

Für junge Menschen mit Behinderung ist für die begleitenden und unterstützenden Maßnahmen (u. a. psychologische, medizinische oder sozialpädagogische Maßnahmen) eine Beziehungskontinuität aufgrund der oft langwierigen Dauer der begleitenden Förderung unumgänglich. Ebenso sollten Trägerwechsel aus diesem Grunde auf die Personen beschränkt bleiben, für die dies nach der BvB sinnvoll und möglich ist.

Die Bildungsbegleitung hat deshalb auch weiterhin funktional durch die Träger der rehaspezifischen BvB zu erfolgen und das Konzept der Bildungsbegleitung muss entsprechend angepasst werden. Die gewünschte trägerunabhängige Neutralitätsprüfung verbleibt bei der Beratungsfachkraft der BA.

Für die neuen Aufgaben der Bildungsbegleitung, wie die Akquise von betrieblichen Praktikums-, Arbeits- und Ausbildungsplätzen, die Erstellung und Fortschreibung des individuellen Qualifizierungsplanes, die Entwicklung von Alternativen zur Ausbildung sowie die Übergangsberatung bei einem Trägerwechsel, ist eine Erweiterung der Personalausstattung in den Einrichtungen erforderlich.

8. Personalrelationen

Für die rehaspezifische BVB ist wegen des besonderen Förderbedarfs von jungen Menschen mit Behinderung sowie für die Umsetzung der behinderungsspezifischen Förderbausteine und der Stabilisierungsstufe laut Anlage 4 zum Fachkonzept BvB folgende Personalrelation erforderlich:

Für Ausbilder/innen ist eine Personalrelation von 1 : 6 und für die Bildungsbegleitung eine Relation von 1 : 12 vorzusehen.

Zusätzlich müssen für die erforderlichen begleitenden Dienste durch sozial- und sonderpädagogische Fachkräfte und für die diagnostischen, psychologischen und arbeitsmedizinischen Dienstleistungen Personalrelationen im erforderlichen Umfang festgelegt werden.

Eine einrichtungsbezogene Betrachtungsweise in Bezug auf den zu fördernden Personenkreis muss gewährleistet werden.

9. Vergaberecht

Die Einrichtungen nach § 35 SGB IX haben einen gesetzlichen Auftrag in staatlicher Verantwortung zu erfüllen. Sie sind Einrichtungen, um Nachteile für Menschen mit Behinderungen auszugleichen, und sie wirken im Sinne des Benachteiligungsverbots des Grundgesetzes. Über das SGB IX sind sie gesetzlich beauftragt, besondere Leistungen für Menschen mit Behinderungen zu erbringen, weshalb eine Anwendung des Vergaberechts ausgeschlossen ist.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hat dazu im September 2004 ausgeführt: „Für Maßnahmen der Berufsvorbereitung oder Maßnahmen der Erst- und Wiedereingliederung, die in Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation nach § 35 SGB IX (Berufsbildungswerke, Berufsförderungswerke und vergleichbare Einrichtungen) ausgeführt werden, kommt das Vergaberecht nicht zur Anwendung.

Für die Bewilligung einer derartigen Maßnahme besteht grundsätzlich ein sozialrechtlicher Anspruch jedes Leistungserbringers, der die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, auf Abschluss eines Leistungserbringungsvertrages i.S.d. § 21 SGB IX. Da die für einen Beschaffungsakt nötige Auswahl zwischen mehreren Leistungsanbietern durch die Bundesagentur für Arbeit (Auftraggeber) fehlt, ist das Vergaberecht nicht anwendbar.“
1

Demgegenüber unterliegen Maßnahmen der Berufsvorbereitung und sonstige auf die
besonderen Bedürfnisse behinderter Menschen ausgerichtete Maßnahmen, die als
allgemeine oder besondere Reha-Maßnahmen außerhalb der Einrichtungen der beruflichen
Rehabilitation nach § 35 SGB IX durchgeführt werden, dem Vergaberecht.

Da das Vergaberecht für Maßnahmen in den Einrichtungen nach § 35 SGB IX nicht angewendet werden kann, hat die Bundesagentur für Arbeit nun deutlich mehr Maßnahmen als bisher für Menschen mit Behinderung als sonstige Leistungen nach § 102 Abs. 1 Nr. 1b SGB III ausgeschrieben.

Diese werden dann wiederum nach dem Lernorte-Konzept vor den Maßnahmen in den Einrichtungen nach § 35 SGB IX als individuelle Leistung bewilligt. Diese Vorgehensweise gefährdet den Teilhabeerfolg für junge Menschen mit Behinderung.

Denn wir befürchten, dass hierbei nicht inhaltliche Erfordernisse, wie eine umfassende und professionelle Förderung durch rehabilitationserfahrenes Personal für die Zuweisung von Menschen mit Behinderung ausschlaggebend sein werden, sondern in erster Linie Kostenaspekte eine Rolle spielen.

Abschließend möchten wir anmerken, dass der ver.di Arbeitskreis Berufliche Rehabilitation BBW/BFW die eingeleitete „Verbesserung der Effizienz und Effektivität der BvB“ auch für junge Menschen mit Behinderung für erforderlich hält. Die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, hier insbesondere die des Arbeitsmarktes, erfordern dies. Auch viele Inhalte aus dem Fachkonzept, wie z. B. die Einrichtung einer Bildungsbegleitung, die Individualisierung und die Durchlässigkeit sind überzeugend. Bei der zielgruppenspezifischen Auswahl des geeigneten Lernortes, der Personalrelation sowie bei der Durchführung der Maßnahmen für Menschen mit Behinderung dürfen die angestrebten Verbesserungen nicht aus fiskalischen Gründen unterlaufen werden.

1 vgl. BMWA, Schreiben an Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, 10.9.2004

Berlin, September 2005
AK Berufliche Rehabilitation BBW/BFW

Sie können die Stellungnahme (Info-Brief des Bereichs Weiterbildung des ver.di Fachbereichs Bildung, Wissenschaft und Forschung) hier als pdf-Datei herunterladen.

Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 30.04.2006