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Bildung ist keine Ware (2)

Mehr und bessere Weiterbildung für alle - das ist die neue soziale Frage

Weil die Gewerkschaften ver.di und IG Metall sich darin einig sind, veranstalteten sie unter diesem Motto eine gemeinsame Konferenz am 30./31.Januar 2006 in Berlin. Mehr als 200 Mitglieder von Betriebs- und Personalräten folgten ihrer Einladung. Unter anderem erlebten sie die Übergabe der Streitschrift "Bildung ist keine Ware", die der Wissenschaftliche Beraterkreis beider Gewerkschaften erarbeitet hatte. Über sie wird noch zu berichten und zu diskutieren sein.

Weiterbildung werde immer wichtiger als Schlüssel für Innovation, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sowie für die Arbeit und das Leben vieler Menschen. Ihr Ausbau werde daher allenthalben verlangt, so der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske während der Pressekonferenz am 31. Januar in Berlin.

Dennoch sei von einem Aufbruch in Deutschland nichts zu spüren:
  • Seit Mitte der 90er Jahre stagnieren die Ausgaben der Betriebe und sinken jene der öffentlichen Hand. Privatpersonen hingegen geben immer mehr Geld für ihre berufliche Qualifizierung aus.

  • Drei Viertel der kleineren und mittleren Betriebe bieten keine Weiterbildung an.

  • Die Chancen sind ungleich verteilt: Im Jahre 2003 nahmen 44 Prozent der Personen mit Hochschulabschluss an Weiterbildung teil, aber nur 11 Prozent der Menschen ohne Berufsausbildung.

  • Einen regelrechten "Kahlschlag" gab's bei den Angeboten für Arbeitslose.

So sei Deutschland in der Weiterbildung international nur noch drittklassig. Um dies zu ändern, fordert Frank Bsirske ein solidarisches Gesamtkonzept für ein allgemeines Recht auf Weiterbildung. Staat, Tarifvertragsparteien und Betriebe sollten es gemeinsam gestalten. Länder wie Frankreich, Dänemark und Schweden machten es vor, wie mehr öffentliche Verantwortung Impulse dafür schaffen könne.

Hoher Handlungsbedarf resultiere auch aus dem Befund des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dass der Mangel an Fachkräften sich bereits im Jahre 2008 negativ auf das Bruttosozialprodukt auswirken werde.

Im Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 habe die schwarz-rote Bundesregierung die Weiterbildung zur "vierten Säule des Bildungssystems" erklärt. Dies dürfe nun kein bloßes Lippenbekenntnis bleiben. Nicht gut findet Frank Bsirske daher die Interview-Aussage von Bundesbildungsministerin Annette Schavan, sie setze in der Weiterbildung nur wenig auf die Einflussnahme des Staates.

Allerdings seien, so der ver.di-Vorsitzende, auch die Gewerkschaften nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft wolle sich im "Zukunftsfeld" Weiterbildung als Gestaltungskraft etablieren, Betriebs- und Personalräte stärker unterstützen "bei der Bewältigung von Qualifizierungsfragen".

Einige Erfolge habe sie auf diesem Weg schon zu verzeichnen - zum Beispiel die "wegweisende Aus- und Weiterbildung im IT-Sektor", den Qualifizierungs-Tarifvertrag bei der Deutschen Telekom und den Anspruch auf ein Qualifizierungsgespräch im neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD).

Für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie will die IG Metall bundesweit einen "Tarifvertrag zu Qualifizierung und Innovation" durchsetzen. Ihr Zweiter Vorsitzender Berthold Huber zeigte sich ermutigt von den Erfahrungen aus seinem Heimatbezirk: In Baden-Württemberg sei der Anteil der Betriebe mit Qualifizierungs-Vereinbarung zwischen 2003 und 2005 von 25 auf 40 Prozent gestiegen - drei Viertel davon aufgrund des dortigen Tarifvertrages.

Von den betrieblichen Praktikern der Arbeitgeberseite komme zu solchen Tarifverträgen kaum Kritik - im Gegensatz zu "eher ideologisch geprägten" Behauptungen von deren Verbandsfunktionären.

Für den neuen Tarifvertrag fordere die IG Metall
  • eine Qualifizierungs- und Innovationsplanung des Unternehmens,

  • eine jährliche Beratung darüber mit Initiativrecht des Betriebsrates und

  • das Recht aller Beschäftigten auf jeweils ein Qualifizierungsgespräch pro Jahr.

Die IG Metall habe, so Berthold Huber, ihre Vorschläge auf den Tisch gelegt. Nun seien die Arbeitgeber und die Politik am Zuge.

Text: Hermann Schmid

Quelle: Pressemitteilung ver.di (01.02.2006)


Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 30.04.2006