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Tarifpolitische Zielperspektiven zur beruflichen Weiterbildung

Grundlagen

Die folgenden tarifpolitischen Zielperspektiven zur beruflichen Weiterbildung sollen es ermöglichen, in den Fach- bzw. Tarifbereichen von ver.di tarifliche Lösungen für die berufliche Weiterbildung zu entwickeln und umzusetzen. Mit diesen Zielperspektiven sind die folgenden grundlegenden gewerkschaftlichen Ziele verknüpft,
  • das Qualifikationsniveau der Beschäftigten im Organisationsbereich von ver.di
  • insgesamt zu verbessern und geeignete Lern- und Lehrmethoden zu fördern.
  • die TeilnehmerInnenzahlen an der beruflichen Weiterbildung deutlich zu erhöhen,
  • besondere Gruppen von Beschäftigten zu fördern,
  • die Grundsätze des Gender-Mainstreaming in der Weiterbildung zu verankern,
  • die Finanzierung der beruflichen Weiterbildung branchenbezogen zu sichern und zu regeln,
  • die berufliche Weiterbildung in möglichst allen Tarifbereichen von ver.di zu einem vorrangigen Thema zu machen,
  • berufliche Weiterbildung möglichst flächendeckend tariflich zu regeln und Weiterbildungsleistungen in den Eingruppierungssystemen zu verankern,
  • die Mitbestimmung von Betriebs- und Personalräten in den Fragen der beruflichen Weiterbildung zu erweitern,
  • Rechtsansprüche auf Freistellung zur beruflichen Weiterbildung, z.B. auch für Sabbatjahre, tariflich zu verankern,
  • die Qualität, die Durchlässigkeit, den Zugang und die Anerkennung beruflicher Weiterbildung und die Position im jeweiligen Eingruppierungssystem zu verbessern.

Weiterbildungsbegriff

Berufliche Weiterbildung ist die Erhaltung, Verbesserung, und Entwicklung berufs- bzw. arbeitsbezogener Kenntnisse und Fähigkeiten. Berufliche bzw. arbeitsbezogene Kenntnisse und Fähigkeiten enthalten u.a. technisch-fachliche, soziale, kommunikative und politische Dimensionen.
  • Berufliche Weiterbildung dient der Entfaltung der Persönlichkeit, insbesondere der beruflichen bzw. tätigkeitsbezogenen Entwicklung, dem Erhalt der Beschäftigung, der allgemeinen Entwicklung der Arbeitswelt und der demokratischen Gestaltung unserer Gesellschaft.
  • Berufliche Weiterbildung baut auf die beruflichen Erstausbildung auf, indem sie die bis dahin erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten erhält, sie verbessert, sie weiter entwickelt oder neue Qualifikationen (Umschulung) ermöglicht.
  • Berufliche Weiterbildung kann intern (betrieblich, unternehmensbezogen) und extern (über- bzw. außerbetrieblich) stattfinden. Sie versteht sich als integrierter Bestandteil eines Konzeptes für lebenslanges Lernen.

Rechtsanspruch auf Weiterbildung und Freistellung

Alle Beschäftigten sollen einen Rechtsanspruch auf berufliche Weiterbildung und die dazu erforderliche bezahlte Freistellung von der beruflichen Tätigkeit für mindestens fünf Arbeitstage je Kalenderjahr erhalten. Weiterbildungszeit ist Arbeitszeit. Der Anspruch auf Freistellung tritt neben etwaige gesetzliche Ansprüche und berührt diese nicht. Der konkrete Umfang des Freistellungsanspruchs ist im Fachbereich bei der Forderungsentwicklung zu diskutieren.

Freistellungsanspruch besteht ebenfalls für Vor- und Nachbereitungszeiten, wie auch für Fahrt- bzw. Reisezeiten im Zusammenhang mit der Teilnahme an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen. Der Rechtsanspruch besteht unabhängig davon, ob der jeweilige Arbeitgeber selbst eigene betriebliche oder überbetriebliche Weiterbildungsmaßnahmen anbietet. Er ist übertragbar zu gestalten, damit auch längere Weiterbildungsphasen möglich werden. Bei teilflexiblen Arbeitszeitsystemen sind im entsprechenden Umfang Lernzeitkonten (i. S. von Arbeitszeitkonten) auszuweisen. Eine Verrechnung bzw. Anrechnung auf den tariflichen Jahresurlaub ist ausgeschlossen.

Durch tarifliche Vereinbarung kann ergänzend eine Beteiligung der Beschäftigten an der Freistellung für berufliche Weiterbildungsmaßnahmen bis zur Höhe des Freistellungsanspruches durch den Arbeitgeber vorgesehen werden. Dafür sind vorrangig Zeitguthaben aus Arbeitszeitkonten bzw. aus Mehrarbeitsstunden zu verwenden

Ermittlung des individuellen und betrieblichen Weiterbildungsbedarfs

Der individuelle Weiterbildungsbedarf wird mit den jeweiligen Beschäftigten mindestens einmal jährlich ermittelt und beraten. Dabei sind die Wünsche der Beschäftigten, veränderte Arbeitsanforderungen, die Wissenserhaltung und Wissenserweiterung, sowie fachliche und soziale Entwicklungsaspekte zu berücksichtigen. Die Ermittlung des Weiterbildungsbedarfes kann auch in Gruppen bzw. Teams erfolgen, dabei sind jedoch die individuellen Weiterbildungswünsche entsprechend zu berücksichtigen.

Der individuelle Bedarf an Weiterbildungsmaßnahmen und ein entsprechender Teilnahmeanspruch werden zwischen Arbeitgeber und den Beschäftigten bzw. Gruppen vereinbart. Diese Vereinbarung steht unter dem Vorbehalt des Zustandekommens einer betrieblichen Vereinbarung zur Weiterbildung, soweit ein Betriebs- bzw. Personalrat vorhanden ist.

Der Arbeitgeber und die Betriebs- bzw. Personalräte haben auf der Grundlage der o.g. Ergebnisse den betrieblichen Weiterbildungsbedarf mindestens einmal jährlich zu ermitteln, zu beraten und gegebenenfalls zu ergänzen. In einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung über ein entsprechendes Weiterbildungsprogramm, mit internen oder externen Maßnahmen, vereinbaren sie die Umsetzung des betrieblichen bzw. individuellen Bedarfes. Bei Nichteinigung entscheidet zwingend die Einigungsstelle.

Für die Konfliktlösung zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber, bzw. unter den Beschäftigten selbst, wird eine paritätische betriebliche Weiterbildungskommission gebildet, die in strittigen Fällen unter Einbeziehung von Sachverständigen entscheidet.

Kostentragung, Finanzierung und Budgetbildung

Die Gesamtkosten für die vereinbarten Weiterbildungsmaßnahmen und die Kosten die aus der bezahlten Freistellung von Beschäftigten entstehen, trägt soweit sie nicht von Dritten übernommen werden, grundsätzlich der Arbeitgeber. Eine andere Verteilung ist bezüglich der Freistellungskosten in Ausnahmefällen möglich. Sie bedarf einer tariflichen Vereinbarung und einer ergänzenden betrieblichen Regelung, nach folgendem Grundsatz:

Die Kostenverteilung kann je nach überwiegender Verwertbarkeit der erworbenen Kenntnisse bzw. Fähigkeiten Eigenanteile der Beschäftigten in Zeitform enthalten.

Dabei sind die Grundsätze der Kostenverteilung tariflich zu regeln. Die maßnahmenbezogene Kostenverteilung erfolgt durch eine betriebliche Vereinbarung.

Die arbeitgeberseitige Kostentragung ist bei überbetrieblichen und unternehmensübergreifenden Weiterbildungsmaßnahmen auch im Umlageverfahren innerhalb einer Branche möglich. Zur Finanzierung der beruflichen Weiterbildung können regionale, bzw. branchenspezifische Weiterbildungsfonds eingerichtet werden. Durch tarifliche Vereinbarung kann eine finanzielle und mitbestimmungsbezogene Beteiligung der ArbeitnehmerInnen an den Fonds vereinbart werden. Bei dieser Form der Budgetbildung ist eine individuelle Kostenbeteiligung der ArbeitnehmerInnen ausgeschlossen.

Weiterbildung für besondere Gruppen

Gruppen von Beschäftigten, die in ihren Berufsverläufen und in ihrer beruflichen Stellung benachteiligt sind, müssen intensiv angesprochen und beteiligt werden. Zur Förderung dieser Gruppen sind zusätzliche spezifische Weiterbildungsangebote und –maßnahmen einzurichten, die gezielt helfen solche Benachteiligungen zu beseitigen.

Für Beschäftigte mit individuellen Arbeitszeiten sind die Weiterbildungsmaßnahmen so zu planen, dass eine Teilnahme in Einklang mit dem Umfang und der Verteilung mit der vereinbarten Arbeitszeit und den sozialen Verpflichtungen ( z.B. Kinderbetreuung ) steht.

Beschäftigte in Eltern- und Familienzeit haben ebenfalls einen Anspruch auf Teilnahme an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen und ein individuelles, jährliches Weiterbildungsgespräch. Sie sind entsprechend rechtzeitig über die Weiterbildungsmaßnahmen zu informieren.

Information und Personalplanung

Die berufliche Weiterbildung leidet nach den bisherigen Erfahrungen unter einem Mangel an Transparenz, Information und Entlastung von arbeitsvertraglichen Pflichten.

Zur Förderung der Teilnahme an der beruflichen Weiterbildung sind die Beschäftigten ständig umfassend über geplante Maßnahmen individuell, betrieblich und rechtzeitig zu informieren. Sie erhalten frühzeitig eine schriftliche Bestätigung der mit ihnen vereinbarten Weiterbildungsmaßnahmen und der entsprechenden Freistellung.

Im Zusammenhang mit der Vereinbarung der Weiterbildungsmaßnahmen beraten Betriebs- bzw. Personalrat und Arbeitgeber über den Personalmehrbedarf der sich aus den entsprechenden Freistellungen ergibt. Der zusätzliche Personalbedarf ist in die Personalplanung einzustellen. Die Vertretung von Teilnehmern an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen ist während dieser Zeit vom Arbeitgeber sicherzustellen.

Freistellungsanspruch für Sabbat- bzw. Weiterbildungsjahre

Um den Beschäftigten längere Weiterbildungsphasen (z.B. für weiterbildende Studiengänge, Kurse für aufbauende Abschlüsse) oder die allgemeine Weiterentwicklung ( z.B. Nachholen von Schulabschlüssen) zu ermöglichen, ist ein Rechtsanspruch auf eine ganze oder teilweise, unbezahlte Freistellung mit Rückkehrrecht auf den bisherigen Arbeitsplatz und unter Anrechnung der Weiterbildungszeit von bis zu drei Jahren vorzusehen. Die Freistellungen sind beschäftigungswirksam umzusetzen.

Agentur zu Förderung der beruflichen Weiterbildung

Die Tarifparteien gründen für die jeweilige Branche eine Weiterbildungsagentur, die unter der Leitfunktion „Qualitätsmanagement“ folgende Aufgaben übernimmt:
  • Entwicklung allgemeiner bzw. branchenbezogener Weiterbildungsstandards und Weiterbildungsmodule,
  • Entwicklung allgemeiner bzw. branchenweit anerkannter Weiterbildungszertifikate und Weiterbildungsabschlüsse,
  • Entwicklung von gemeinsamen Standards zur Ausbildung von Weiterbildungstrainern,
  • Beratung und Unterstützung für betriebliche und unternehmensbezogene Weiterbildungsmaßnahmen,
  • Entwicklung und Durchführung von überbetrieblichen, branchenbezogenen Weiterbildungsmaßnahmen, unter Berücksichtigung von neuen Lern- und Lehrmethoden, wie z.B. E-Learning.
  • Zusammenarbeit, insbesondere in den Bereichen Zertifizierung und Qualitätsmanagement, mit dem Bundesinstitut für Berufsbildung und den sonstigen Trägern der beruflichen Weiterbildung.

Die Gremien der Weiterbildungsagentur sind von den Tarifparteien paritätisch zu besetzen. Die Finanzierung erfolgt über ein Umlageverfahren nach der Anzahl der Beschäftigten in den Mitgliedsunternehmen. Durch tarifliche Vereinbarung kann eine finanzielle und mitbestimmungsbezogene Beteiligung der ArbeitnehmerInnen vereinbart werden.

Beschluss des Bundestarifausschusses ver.di vom 1. Juli 2005

Sie können diesen Beschluss hier als pdf-Datei herunterladen. Die Datei enthält neben weiteren Erläuterungen zur beruflichen Weiterbildung und Tarifarbeit einen Musterentwurf eines Tarifvertrages zur beruflichen Weiterbildung.

Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 02.05.2006