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Enttäuschende Bilanz der Hartz-Reformen

Was die Zwischenberichte der wissenschaftlichen Evaluierung der ersten drei Hartz-Gesetze bereits vor einem Jahr angedeutet hatten, bestätigen nun die Endberichte: Die Reformen am Arbeitsmarkt haben zwar den Arbeitsmarkt flexibilisiert, sie haben aber "nur in geringem Umfang zur Überwindung der Arbeitslosigkeit beigetragen". Einige der mit großen Erwartungen auf den Weg gebrachten Instrumente haben nahezu völlig versagt. Hierzu gehören die Personalserviceagenturen, die Arbeitslose als Leiharbeitnehmer in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln sollten.

Gute Noten attestieren die Wissenschaftler neben dem Existenzgründungszuschuss (Ich-AG) auch der Förderung der beruflichen Weiterbildung. "Umso unverständlicher ist dann aber, dass dieses in seinen Integrationswirkungen positive Instrument in den letzten Jahren drastisch zusammen gestrichen wurde", urteilt Dr. Hartmut Seifert, Leiter des Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Außerdem gehe die Steuerung der Weiterbildungsförderung am Kriterium der erwarteten Wiedereingliederungschancen ("prognostizierte Verbleibsquote") zu Lasten der gering qualifizierten Arbeitslosen. Gerade in einer Situation, in der die gute Konjunkturentwicklung die Nachfrage nach Arbeitskräften wieder steigen lässt und erste Hinweise auf Fachkräftemangel aufkommen, sei ein entschlossener Kurswechsel in der Weiterbildungspolitik das Gebot der Stunde, so Seifert.

Als gravierende Schwachstelle der Evaluation wertet Seifert, dass die Nebenwirkungen der Hartz-Reformen nahezu völlig ausgeblendet wurden. So boomen zwar die Mini-Jobs. Hierbei handele es sich aber um einen Scheinerfolg, denn der Zuwachs gehe überwiegend auf Nebentätigkeiten zurück, die teilweise sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ersetzen. "Mini-Jobs haben kaum zur Beschäftigung von Arbeitslosen geführt und taugen nicht als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt", so Seifert. Schlimmer noch sei, dass den Sozialversicherungen Einnahmen entgehen. Langfristig werde das auf Beiträgen basierende System der sozialen Sicherung ausgehöhlt. Mini-Jobs in Nebentätigkeiten sollten deshalb voll in das Steuer- und Abgabensystem einbezogen werden.

Pressemitteilung der Hans-böckler-Stiftung, 20.12.2006.


Über die Wirkung der Förderung der beruflichen Weiterbildung heißt es im Kurzbericht der Bundesregierung:

“Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik

Zentraler Untersuchungsgegenstand für die Evaluation der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und ihrer Reform sind die Wirkungen auf die Integration von Arbeitslosen in Erwerbstätigkeit. Die Erhöhung der Chance auf Integration in Erwerbsarbeit und die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitslosen sind wesentliche Ansätze zur Stärkung individueller Autonomie und fördern zugleich die gesellschaftliche Teilhabe der Bürger/innen. Im Rahmen der Evaluation sind sowohl wichtige, teilweise bereits seit Jahrzehnten bestehende arbeitsmarktpolitische Instrumente als auch erst kürzlich erfolgte Innovationen im Bereich der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik einer kritischen Bewertung unterzogen worden.

Die Zahl der Teilnehmer/innen an einer geförderten beruflichen Weiterbildung ist in den letzten Jahren stark gesunken: Die Zahl der jährlich neu begonnen Weiterbildungsmaßnahmen ist von 523.000 im Jahr 2000 um gut 75% auf nur noch 132.000 im Jahr 2005 zurückgegangen. Dabei entfiel 2005 die Hälfte der Zugänge auf das SGB III. Im Zuge des Reformprozesses erfolgte in den Agenturen für Arbeit eine Veränderung der geschäftspolitischen Ausrichtung der Förderung beruflicher Weiterbildung hin zu einer stärkeren Beachtung von Integrationszielen und Effizienz. Die aus Mitteln des SGB III geförderte Weiterbildung wurde enger mit der Arbeitsvermittlung verknüpft. Dadurch haben verfügbare Stellenangebote und der Bedarf der Arbeitgeberkundinnen und -kunden ein höheres Gewicht bei der Ausrichtung der Weiterbildung erhalten. Deutlich an Bedeutung verloren haben dagegen die Ausrichtung der Maßnahmengewährung an besonders förderungsbedürftigen Personengruppen und die Orientierung am Bedarf von Arbeitnehmerkundinnen und -kunden. Zentrales Steuerungselement ist die neu eingeführte Bildungszielplanung der Agenturen, in die insbesondere kurzfristige Bedarfe des Arbeitsmarktes einfließen.

Die von der Zentrale formulierten Vorgaben einer prognostizierten Verbleibsquote von 70% für die Zulassung von Maßnahmen und einer möglichst hohen individuellen Eingliederungswahrscheinlichkeit von Maßnahmeteilnehmerinnen und -teilnehmern haben zu einer Bestenauswahl (Creaming) geführt. Diese wird nach Ansicht der Mitarbeiter/innen in den Agenturen für Arbeit durch den Bildungsgutschein noch verstärkt, da gut Qualifizierte eher als andere mit der damit verbundenen Wahlfreiheit umgehen können. Dies wird vor allem von den Vermittlerinnen und Vermittlern und weniger von den Führungskräften in den Agenturen kritisch gesehen. Gleichzeitig wird betont, dass positive Entwicklungen wie eine Verringerung von Problemfällen in Maßnahmen und eine Reduzierung der Abbruchquoten nur durch eine Auswahl der Teilnehmer/innen zu erreichen seien. Insgesamt ist es somit schwieriger geworden, beruflich gering qualifizierte Menschen mit diesem Instrument zu fördern.

In den Agenturen gibt es hohen Nachsteuerungsbedarf, weil immer wieder Maßnahmen aufgrund zu geringer Teilnehmerzahlen nicht zustande kommen. Diesem Umstand könnte dadurch begegnet werden, dass mehr Bildungsgutscheine ausgegeben werden als gemäß der Bildungszielplanung benötigt werden. Dies ist offenbar jedoch keine gängige Praxis in den Agenturen.

Das Verhältnis zwischen Agenturen für Arbeit und Bildungsträgerinnen und -trägern hat sich im Zuge der Reformen grundlegend verändert. Die Kommunikationsbeziehungen sind einseitiger geworden, bestehende Netzwerke haben sich aufgelöst. Diese Entwicklung wird von den Trägerinnen und Trägern ausdrücklich kritisiert. Auch hat sich die wirtschaftliche Lage der Bildungsträger/innen eher verschlechtert. Entsprechend schlecht fällt die Bewertung der Reform durch diese Gruppe aus; nur 6% bewerteten sie im Frühjahr 2006 positiv. Auf der anderen Seite ist der veränderte Zugang zu den Maßnahmen ein wichtiger Ansatz, mehr Wirtschaftlichkeit zu erreichen.

Mit der Einrichtung von externen Zertifizierungsstellen für die Zulassung von Trägerinnen und Trägern sowie von Maßnahmen wurde im Frühjahr 2005 begonnnen. Bis April 2006 wurden 23 solcher fachkundigen Stellen zugelassen. Nach den Erfahrungen dieser Stellen war vielen Trägerinnen und Trägern die Notwendigkeit einer Zertifizierung noch nicht bekannt. Auch besteht große Unsicherheit über den Modus und die Inhalte der Antragsstellung. Kooperationen zwischen Zertifizierungsstellen und Agenturen für Arbeit hinsichtlich der Qualitätssicherung nach erfolgter Zertifizierung waren bisher selten. Auch äußerten sich die befragten Stellen kritisch zum Informationsstand der Arbeitsagenturen zu den neuen Zertifizierungsverfahren.

Auf Seiten der Agenturen kommt eine skeptische Haltung gegenüber den Zertifizierungsstellen in einer deutlichen Verschlechterung der Bewertung dieses Reformelements zwischen Frühjahr 2005 und Frühjahr 2006 zum Ausdruck. Insgesamt sahen die Beschäftigten der Agenturen die Neuausrichtung der Förderung beruflicher Weiterbildung und insbesondere die Vorgabe einer prognostizierten Verbleibsquote jedoch eher positiv.

Quantitative Wirkungsanalysen für den Zeitraum vor den Reformen kommen zu dem Ergebnis, dass insbesondere Teilnehmer/innen an relativ langen geförderten Weiterbildungsmaßnahmen, die zu einem Abschluss in einem anerkannten Beruf führen, nach der Maßnahme deutlich häufiger erwerbstätig waren als vergleichbare Nicht-Teilnehmer/innen. Zunächst behindert die Teilnahme an einer geförderten beruflichen Weiterbildung allerdings die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, da die Vermittlungs- und die Eigensuchaktivität während der Maßnahmeteilnahme zum Erliegen kommen (sog. Lock-In-Effekt). Dieser Lock-In-Effekt wurde durch die Reform bei allen sechs untersuchten Maßnahmetypen - hier reicht das Spektrum von kurzzeitigen Qualifizierungsmodulen bis zum Erwerb eines neuen beruflichen Abschlusses - verringert. Darüber hinaus wirken nach der Reform nun die kürzeren Weiterbildungsmaßnahmen deutlich positiv auf die Erwerbschancen der Teilnehmer/innen. Bei den beiden längeren Maßnahmetypen ist der Beobachtungszeitraum nach der Reform zu kurz, um eine eventuelle Verbesserung der Maßnahmewirkung festzustellen. Die Verbesserungen sind überwiegend nicht, wie vielfach vermutet, auf Veränderungen in der Teilnehmerstruktur zurückzuführen, sondern beruhen eher auf einer Steigerung der Qualität der Maßnahmen."



Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin, 20. Dezember 2006
Die Wirksamkeit moderner Dienstleistungen am Arbeitsmarkt,
Bericht 2006 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Wirkung der Umsetzung der Vorschläge der Kommission Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt


Sie können die Kurzfassung des Berichts hier als pdf-Datei herunterladen.


Verweise zu diesem Artikel:
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 20.12.2006