Nachrichten-Archiv

Zurück zur Übersicht

Fachkräfte aus dem Ausland oder Bildungsoffensive?

Ab November ist ein begrenzter Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland nach Deutschland möglich. Wie steht die SPD zum Beschluss?

Burchardt: Vorgesehen ist, auf die individuelle Vorrangprüfung bei Maschinen-, Fahrzeugbau- und Elektroingenieuren aus den 12 neuen EU-Staaten zu verzichten. Vorrangprüfung heißt, dass ein Ausländer nur eingestellt werden darf, wenn kein deutscher Bewerber da ist. Für ausländische Absolventen deutscher Hochschulen gilt die gleiche Regelung, allerdings für eine auf drei Jahre begrenzte Arbeitserlaubnis.

Die Arbeitsmöglichkeit ausländischer Absolventen wollten wir bereits unter rot-grün deutlich erleichtern. Damals gab es jedoch massive Schwierigkeiten mit der Union, die ihre Blockadeposition im Bundesrat immer geltend machte. Es ist lachhaft, wenn Frau Schavan und andere jetzt den Fachkräftezuzug fordern, den sie jahrelang verhindert und torpediert haben.

Wieso haben wir einen Fachkräftemangel in Deutschland?

Burchardt: Die Union hat damals ein ideologisch aufgeheiztes Kampffeld daraus gemacht, als wir den Zuzug gerade im Hinblick auf den Fachkräftemangel erleichtern wollten. So wurden jahrelang vernünftige Regelungen blockiert, die eine geordnete Zuwanderung möglich gemacht hätten. Das war ein regelrechter Wahlkampf gegen rot-grün und jetzt kommen die großen Kullertränen.

Ist der Fachkräftemangel auch ein Mangel an Ausbildung?

Burchardt: Natürlich. Die Unternehmen haben schlicht und ergreifend nicht genügend ausgebildet. Und sie haben es verschlafen, im Bereich Weiterbildung zu investieren, d.h. ihre eigenen Mitarbeiter zu qualifizieren. Dazu kommt unser Schulsystem, das jedes Jahr rund neun Prozent Schulabsolventen ohne Abschluss entlässt. Auch das ist ein fehlendes Potenzial. Ein weiterer Punkt ist, dass die Bundesagentur für Arbeit über Jahre massiv die Fortbildungsmaßnahmen zurückgefahren hat, was auch ein großer Fehler der Hartz-Gesetzgebung war. Nun setzt ein Umdenken bei der Bundesagentur ein und die Bundesregierung hat Korrekturen beschlossen. Die Teilnehmerzahlen beginnen zu steigen, es wird wieder mehr in längerfristige Maßnahmen investiert und auf die Qualität der Weiterbildung und Bildungsanbieter geachtet.

Wenn ich auf der einen Seite den Zuzug von Fachkräften von außen erlaube, habe ich dann auf der anderen noch Interesse daran, in die Weiterbildung vor Ort zu investieren?

Burchardt: Deshalb sagen wir, man kann die Türen für ausländische Fachkräfte nur dann weiter öffnen, wenn endlich auch eine Qualifizierungsoffensive auf den Weg gebracht wird. Die ist überfällig. Da ist das Arbeits- und Sozialministerium gefragt, vor allen Dingen aber das Bildungsministerium. Wir haben eine Koalitionsvereinbarung, die beinhaltet, dass wir eine Weiterbildung mit System organisieren und die Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungswesens machen wollen. Jetzt ist die Halbzeit der Koalition erreicht und die zuständige Ministerin kommt nicht aus den Puschen. Vor Meseberg hat sie zwar eine Qualifizierungsinitiative angekündigt, die große Frage aber wird sein, ob aus dem Bildungsministerium mehr kommt als nur ein Gesetzentwurf zum Bildungssparen und zur Bildungsprämie. Denn das wäre nur ein Element, das für einen systematischen Ausbau der Weiterbildung bei weitem nicht ausreicht.

Was ist die explizite Forderung der SPD?

Burchardt: Wir brauchen ein Erwachsenenbildungsföderungsgesetz. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Das ist ein großes Projekt und deshalb wird es Zeit, die Arbeit zu beginnen. Das Gutachten der Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“, von der SPD beschlossen und eingesetzt von der damaligen Bildungsministerin Edelgard Bulmahn, liegt seit 2004 auf dem Tisch. Die Kommission hatte den Auftrag, neue Strategien für die Finanzierung „Lebenslangen Lernens“ zu entwerfen, und sie hat ganz konkrete Vorschläge ausgearbeitet, wie man Schritt für Schritt Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssystems machen kann und vor allem Bildungsbenachteiligte und den Aufstieg durch Bildung fördert.

Kannst Du ein Beispiel nennen?

Burchardt: Ein erster Schritte müsste beispielsweise die Öffnung des Meisterbafögs sein, um Menschen die Chance zu geben ihren Schul- und Berufsabschluss nachzuholen. Nicht nur Gesellen, die ihre Meisterprüfung machen wollen, sollen vom Aufstiegsförderungsgesetz profitieren, auch Menschen, die mit 30 Jahren noch ihren Schul- und Berufsabschluss nachholen wollen, sollen gefördert werden. Das ist ein ganz konkreter Vorschlag und ein wichtiger Beitrag, um den zunehmenden Fachkräftebedarf mit dem riesigen Potential, das in Deutschland noch schlummert, zu decken. Deshalb sagen wir, Fachkräfte-Zuzug nur, wenn die eigenen Leute weit besser gefördert werden als bisher.

Gemeinsam mit Parteikollegen forderst Du einen Paradigmenwechsel in der Weiterbildung. Was genau müssen wir uns darunter vorstellen?

Burchardt: In der Weiterbildung gibt es ein „Dilemma der Zuständigkeiten“ wie in keinem anderen Bildungsbereich: Bund, Länder, Kommunen und selbst die EU – alle mischen kräftig mit. Träger und Angebote sind für Lerner nicht mehr zu überschauen. Einerseits müssen wir den Weiterbildungsdschungel lichten, andererseits brauchen wir den individuellen Rechtsanspruch auf Weiterbildung und ein vernünftiges System der Finanzierung. Das ist der Paradigmenwechsel. Wir wollen ein Finanzierungskonzept, das festlegt, was sind die Anteile, die die Bundesagentur für Arbeit zu leisten hat, was sind die Anteile, die aus Steuergeldern finanziert werden müssen, welche Leistungen müssen die Betriebe erbringen und was müssen individuelle Beiträge sein. In diese Finanzierungsfrage muss System hinein. Das ist die explizite Forderung der SPD.

Was hat das zu tun mit der Einführung einer so genannten Beschäftigungsversicherung, wie sie z.B. Andrea Nahles fordert?

Burchardt: Die Beschäftigungsversicherung wäre ein wichtiger Teil einer Weiterbildung mit System. Die Bundesagentur sagt zu Recht, nicht immer eintreten zu können, wenn das Bildungssystem versagt hat. Also muss man unterscheiden, welche Aufgaben die Bundesagentur finanzieren kann und welche beispielsweise durch Steuermittel finanziert werden müssen. Die Arbeitslosenversicherung muss zu einer Beschäftigungsversicherung umgebaut werden. Im Vordergrund muss die Beschäftigungsfähigkeit des Einzelnen stehen, sie muss erhalten und gefördert werden – gerade angesichts der Veränderungen in der Arbeitswelt und des dynamischen ökonomisch-technischen Wandels. Die klassische Arbeitslosenversicherung, die überwiegend nur auszahlt, soll eine präventive Strategie entwickeln, so wie es in den skandinavischen Ländern längst funktioniert. Das wäre die Vollendung von „Fördern und Fordern“. Denn in dem Förderteil müssen wir noch nachlegen. Über die Beschäftigungsversicherung soll gewährleistet werden, dass eine kontinuierliche berufliche Qualifizierung möglich ist – die beste Prävention vor Arbeitslosigkeit.

Werden wir in dieser Legislaturperiode noch Ergebnisse sehen?

Burchardt: Franz Müntefering hat angekündigt, dass er Druck machen und ein Konzept vorlegen wird. Meine Kollegen Ernst-Dieter Rossmann, Willi Brase und ich sind sehr beharrlich, erarbeiten Details und koordinieren uns mit den Gewerkschaften und den Weiterbildungsakteuren. Es muss noch mehr nach außen deutlich werden, dass die SPD der Initiator und Motor der Bewegung „Mehr Bildung für alle – von Anfang an und ein Leben lang“ ist. Das ist doch das Thema, mit dem wir in den 70er Jahren die Massen erreicht haben: „Aufstieg durch Bildung“ und „Chancengleichheit“, das sind unsere Themen. Auch Kurt Beck will im nächsten Jahr dieses Thema zum Schwerpunkt einer Kampagne machen. Ich sehe ganz viel Licht am Horizont, denn auch im Grundsatzprogramm findet das Thema „Lebenslanges Lernen“ sehr gut statt. Und wir können damit wieder einen Schulterschluss mit den Gewerkschaften machen.

Interview: Vera Rosigkeit


Quelle: vorwärts online vom 11.09.2007


Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 12.09.2007