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Drei EuGH-Urteile zu Arbeitnehmerrechten in Europa

Ohrfeigen für Arbeitnehmer

Urteilsschelte mag unpopulär sein. Aber Richter sind nicht sakrosankt – und schon gar nicht unfehlbar. Wenn die neueren Interpretationen der Entsenderichtlinie durch den EuGH Leitfaden für die Politik der EU werden sollten, dann kann ich nur sagen: Ein solches Europa wollen die Gewerkschaften nicht. Eine EU, die die Freiheit des Marktes über Arbeitnehmerschutzrechte stellt, die nationale tarifliche und staatliche Schutzmaßnahmen gegen Lohndumping einfach aushebelt und grenzüberschreitende Dienstleistungen zu (fast) jedem Preis zum modernen Götzen einer angeblichen Freiheitsordnung hochstilisiert, eine solche EU tritt Arbeitnehmerrechte mit Füßen. Das werden der DGB, aber auch die anderen Gewerkschaften im Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) nicht widerspruchs- und kampflos hinnehmen.

Worum geht es? Ein niedersächsischer Gefängnisneubau wurde nach dem Tariftreuegesetz vergeben. Ein ausländischer Subunternehmer unterschritt die geforderte Löhnhöhe erheblich. Dennoch muss er nach dem so genannten Rüffert-Urteil des EuGH keine Bußgelder zahlen, weil der zugrunde gelegte Tarifvertrag des niedersächsischen Baugewerbes nicht allgemein verbindlich war. Der EuGH akzeptiert nach seiner Interpretation der Entsenderichtlinie aber nur gesetzliche Mindestlöhne und allgemeinverbindliche Tarifverträge als Lohnuntergrenzen für entsandte Arbeitnehmer.

Drei jüngere EuGH-Urteile (Viking, Laval und zuletzt Rüffert) haben eines gemeinsam: Sie verschieben die Balance zwischen Marktfreiheit und Arbeitnehmerrechten noch weiter zu Ungunsten der Beschäftigten. Praktisch sind sie eine Einladung zum Lohndumping durch entsandte ArbeitnehmerInnen – und zwar überall dort, wo es keine gesetzlichen Mindestlöhne oder allgemeinverbindliche Tarifverträge gibt.

Eine so interpretierte Entsenderichtlinie fördert außerdem selber Lohndumping, indem sie zum Beispiel gesetzliche Mindestlöhne als maximale Abwehrmaßnahme hinstellt, die nicht durch nationale Regulierung überschritten werden darf. Hier wird also ein riesiges Einfallstor für die Unterbietung von Tariflöhnen durch Mindestlöhne geöffnet.

Für Deutschland heißt das: Weil sich die größte Regierungspartei CDU/CSU strikt weigert, einen gesetzlichen Mindestlohn zu erlassen, gleichzeitig branchenbezogene Mindestlöhne blockiert, wo es nur geht, und Flächentarifverträge kaum noch für allgemeinverbindlich erklärt werden, sind wir in Zukunft weitgehend schutzlos dem Lohndumping ausgesetzt. Wenn dann selbst der Staat seine Tariftreuegesetze bei Verstößen nicht mehr sanktionieren kann, weil es dem EuGH missfällt, dann ist das schlichtweg ein Skandal. Dann müssen Millionen ArbeitnehmerInnen fürchten, dass die EU über die Dienstleistungsfreiheit ihre Löhne untertunnelt. Am Ende könnten massive Einkommensverluste stehen.

Was können die Gewerkschaften dagegen unternehmen? Wir müssen Druck machen auf Regierungen, Europäische Kommission und auf das Europäische Parlament, damit sie Gesetze, Vorschriften und Erlasse so ändern oder ergänzen, dass solche Skandalurteile künftig nicht mehr möglich sind. Es kann doch nicht angehen, dass der EuGH Tarifautonomie und Tarifverträge in Deutschland praktisch über eine falsche Interpretation der Entsenderichtlinie außer Kraft setzt. Schon jetzt wächst der Niedriglohnsektor bei uns mit beängstigendem Tempo. Das darf sich durch die Dienstleistungsfreiheit nicht noch beschleunigen.

Im Übrigen sind die Urteile eine Bestätigung für unsere Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro, damit wenigstens diese Basis nicht durch entsandte Arbeitnehmer unterschritten werden kann. Ich gebe zu: Mindestlöhne mildern das Problem, lösen es aber nicht. Denn Tariftreuegesetze, die sich auf ein höheres Tarifniveau beziehen, könnten immer noch straflos unterlaufen werden, wie das Rüffert-Urteil zeigt.

Fazit: Der EuGH gefährdet den sozialen Frieden in Europa. Ich fordere deshalb Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, die EU-Kommission und alle verantwortlichen Europapolitiker auf, jetzt sofort Initiativen mit dem Ziel zu ergreifen, damit europäisches Recht nicht länger nationale Anti-Lohndumping-Maßnahmen und Tariftreuebestimmungen außer Kraft setzen kann. Entweder sie schaffen endlich ein soziales Europa oder sie steuern die EU und ihre Institutionen geradewegs in einen Dauerkonflikt mit den Gewerkschaften.


Quelle: einblick 7/08

Die Ausgabe des einblick enthält weitere Informationen zu den Urteilen des EuGH. Sie können die vollständige Ausgabe hier als pdf-Datei herunterladen.


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Schlagworte zu diesem Beitrag: Mindestlohn
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.04.2009