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Freiberufler an Volkshochschulen

Auch für Akademiker ist der Bereich der Erwachsenenbildung ein interessanter Arbeitsort: Rainer Spallek gibt einen realistischen Einblick in die Welt des Unterrichtens und Referierens, des Leitens von Seminaren und Exkursionen beim bundesweit größten Bildungsträger

Um die Perspektiven beider Seiten bessser kennen zu lernen, sprach der Autor mit zwei Fachbereichsleitern und einem VHS-Leiter an drei Volkshochschulen (von insgesamt 967 bundesweit): Dr. Claudia Kleinert, 46, Islamwissenschaftlerin (Fachbereich Kulturelle Bildung an der VHS Duisburg). Dr. Jens Korfkamp, 43, Sozialwissenschaftler, Leiter der VHS Rheinberg. Dr. Ulrich Steuten, 52, Soziologe und Pädagoge, Fachbereich Deutsch und Politik an der VHS Moers. Gespräche mit freiberuflichen Kollegen und eigene Erfahrungen stehen für die andere Seite.

Akademiker und Frauen in der Mehrzahl

Ein Fachbereichsleiter an einer Volkshochschule arbeitet –je nach Größe seines Aufgabengebiets- mit etwa 20 bis 40 Freiberuflern zusammen: Dozenten, Referenten, Seminar- und Exkursionsleiter. Meist sind unter ihnen Akademiker in der Mehrheit.

Im Kulturbereich allerdings, so Kleinert, dominieren knapp die Nichtakademiker. Hier reicht das Angebotsspektrum vom 17-jährigen Hip-Hop-Trainer bis zum 78-jährigen professoralen Referenten. Unter „ihren“ Freien sind auch Künstler, die mit ihrer Kunst allein selten genug verdienen können.
In Fachbereichen wie Geistes- und Sozialwissenschaften können bis zu 90 % Akademiker vertreten sein. Korfkamp schätzt das Verhältnis Akademiker – Nichtakademiker unter den Freien an seiner VHS Rheinberg mit 80 : 20 ein.

Frauen scheinen an allen Volkshochschulen stärker vertreten zu sein als Männer. Vor allem unter den KursleiterInnen dominieren Frauen – und da wiederum sehr stark im Deutsch-Bereich. Steuten schätzt den Anteil der Frauen in Moers auf gut 90 %. Viele weibliche Honorarkräfte arbeiten nebenberuflich – Männer hingegen lassen sich eher hauptberuflich auf´s Freiberufler-Dasein ein.

Beide Seiten brauchen einander

Vor allem die hauptberuflich tätigen Honorarkräfte und auf der anderen Seite die Fachbereichsleiter brauchen kalkulierbare Planungsgrundlagen und sind so aufeinander angewiesen. Ein stabiles Verhältnis ist also für beide Seiten wesentlich. Korfkamp:„Von den Stammdozenten lebt eine Weiterbildungseinrichtung.“ Richtig ist auch, dass wesentlich die Freiberufler das Image einer Volkshochschule prägen.

Persönlichkeitsmerkmale

Da scheinen unterschiedliche Charaktertypen zusammenzukommen: Sesshafte Alphatiere mit Revierinstinkt und Rentenbewusstsein in geschützten Stuben begegnen nomadisierenden, amtsallergischen Lebenskünstlern in freier Wildbahn. Doch wie findet nun der Freie erfolgreich den Weg von der Wildbahn zur Volkshochschule? Auch wenn der Bewerber einen anderen Lebensstil pflegt – er muss sich anpassen. Ob am Telefon, in der mail oder persönlich: „Der Bewerber sollte nicht protzig, aber auch nicht zu bescheiden auftreten“, so Kleinert. In beiden Fällen bezweifelt sie die Umgangsfähigkeit mit erwachsenen Teilnehmern. Auch Korfkamp wünscht sich keine nassforschen Auftritte; stattdessen sollten die Bewerber über „Empathie“ verfügen und „eine kommunikativ-offene Grundhaltung“ erkennen lassen. Steuten wünscht sich zusätzlich einen Schuss Originalität und Informiertheit in Bezug auf seine Volkshochschule bzw. das VHS-Programm.

Kontaktaufnahme

Immer wieder werden Fachbereichsleiter oder VHS-Leiter von Bewerbern kontaktiert. In den meisten Fällen geschieht der Erstkontakt per mail oder telefonisch (Kontaktadressen über die websites der VHS). Besteht Interesse, werden die Angebote i. d. R. zugemailt. Seltener erfolgt der Erstkontakt per Brief oder durch direktes persönliches Erscheinen vor Ort; von Letzterem wird eher abgeraten. Gleichwohl hat der Autor damit (Lebenslauf, Angebotstexte und Visitenkarte am Mann) positive Erfahrungen gemacht.

Wissen, was man will

Der Bewerber sollte genau wissen, was er will: Knapp und prägnant sollte seine Rede (bzw. Schrift) sein. Wenig beliebt ist alles, was dem Umworbenen unnötig Arbeit macht: z. B. aus den Bewerber-Qualitäten ein passgenaues Angebot herauszufiltern. Erfahrene Fachbereichsleiter erkennen, ob das Bewerbungsangebot gut durchdacht ist; man erwartet Respekt durch eine fundierte und persönliche Ansprache – also besser keine Rund-um-Massenmails. Lax gehandhabte Orthographie und nachlässige Ausdrucksweise führen eher am Ziel vorbei.

Angebot als Ausschreibungstext

Angebote des Bewerbers sollten immer gleich als Ausschreibungstext vorliegen, der über das VHS-Programm als konkretes Angebot an die Öffentlichkeit geht. Dabei empfiehlt es sich, ein VHS-Programm als Muster zu Rate zu ziehen – und zu prüfen, ob das eigene Angebot evt. schon abgedeckt wird! Der Text kann vom Fachbereichsleiter noch geändert oder gekürzt werden (hier auf Absprache drängen!). Erfahrene FB-Leiter nehmen schnell Witterung auf, wenn der Geruch von geklauten wikipedia-Vorlagetexten in der Luft liegt... besser sein lassen. Im Übrigen geben Ausschreibungstexte dem Lesenden Orientierung darüber, ob der Anbieter essentiell denken und auf den Punkt kommen kann.

Erwachsenenpädagogische Erfahrungen

Natürlich kann man sich nie völlig sicher sein, ob der Neue auch der Richtige ist. Daher finden erwachsenenpädagogische Qualifikationen und Erfahrungen großes Interesse. Das heißt nicht, dass man ohne solche chancenlos ist – pluspunktfähig ist es aber schon. Ggf. –so Kleinert- werden unerfahrenen Bewerbern eine VHS-interne Fortbildung, die sog. „Erwachsenenpädagogische Grundqualifikation“ angeboten. Natürlich wächst auch ein Dozent, Referent oder Seminarleiter mit seinen Erfahrungen – doch können Fachbereichsleiter das berücksichtigen?

Akquise-Arbeit

Verläuft der Erstkontakt positiv und bekommt der Freiberufler erste Aufträge, so sollte er dennoch immer etwas dafür tun, um im Gespräch zu bleiben; mit der erfolgreichen Erstbewerbung ist man von weiterer Akquisearbeit nicht befreit. Sollten dann Fachbereichsleiter beim Freien um weitere Angebote nachfragen, so genießt dieser erkennbare Wertschätzung. Sowas kann die Runde machen: Die jährlichen Fachbereichs-und VHS-Leiterkonferenzen sind auch eine Info-Börse in Sachen Freiberufler-Engagements. Hat ein Freier sich mit einem attraktiven Angebot durchgesetzt, macht er seine Sache gut und ist er ein umgänglicher Typ, so ist er „im Geschäft“ und kann auch bei künftigen Bewerbungen seinen Federschmuck herzeigen – in Form von Referenzen!

Eigene homepage?

Eine eigene homepage ist für einen Freiberufler von Vorteil. Steuten und Kleinert schätzen sie, um einen ersten Eindruck von dem unbekannten Bewerber zu bekommen. Korfkamp ist skeptischer: „Wer soll das nachprüfen?“. Dem Autor jedenfalls hat die eigene homepage z. B. die Fahrtkosten nach Köln erspart: Der Blick des dortigen Fachbereichsleiters in seine website machte eine persönliche Vorstellung überflüssig, so dass er den Auftrag auch so bekam. Ferner ist man mit homepage eher google-relevant, so dass mancher Auftraggeber über das Googlen den Weg zum Freiberufler findet.

VHS-Programm

Gewinne sollen Volkshochschulen nicht erwirtschaften, doch ist das Kostendeckungsprinzip einzuhalten. So gibt es ständig ausgebuchte Evergreens unter den Veranstaltungen wie Malen oder Bauchtanz und Angebote im Gesundheits- oder Sprachenbereich. Ohne ein Ohr für Zeitgeistiges geht es jedoch nicht: Z. Z. sind Erziehungsthemen in; auch Pilates oder das Thema Casting sind en vogue. Für Neues und Originelles sind Fachbereichsleiter dankbar und gelegentlich –kostenbezogen- auch risikofreudig. Korfkamp spricht von ca. 90 % fortlaufenden und etwa 10 % neuen Angeboten, die jedes Semester Eingang ins Programm finden.

Promi-Referenten

Sicherlich gibt es auch einen Image-Wettbewerb: Wer hat das verführerischste VHS-Programm im Lande? Und so lässt man gerne auch das Auge über die Promi-Landschaft schweifen. Dass diese das 10- bis 15-fache eines Nichtpromi-Vortragshonorars (ca. 120 €) bekommen bereitet Fachbereichsleitern keinen Kummer: Die Nachfrage bestimmt den Preis – so what?! Robert Claßen, VHS Krefeld, kennt auch die Extrawünsche der Renommierten: ein teures Hotel darf es schon mal sein; gern auch ein Theaterabend oder eine Museumsführung.

Nichtprominenter Kleinmut

Als Nichtpromi muss man aufpassen, dass natürliche Bescheidenheit nicht zur Selbstausbeutung führt. Vor einigen Wochen hielt der Autor einen Vortrag: In der Pause kam ein Mann auf ihn zu und lud ihn zum Vortrag in dessen Organisation ein. Dann die Frage nach dem Honorar: 120,- Euro sagte der Autor, wobei er sich an VHS-Standards orientierte. Ach – hätte er doch besser geschwiegen! Ungläubiges Mitleid blickte ihn an. Erst später erfuhr der Autor, dass er vor den Freimaurern referieren sollte – und die zahlen wahrhaft kühnere Honorare!

Es besteht die Gefahr, dass die Gewöhnung an kleinere Honorare zu mentalem Kleinmut führt, der das Reich höherer Honorare als unerreichbar erscheinen lässt. Goetz Buchholz: „Freie ... schöpfen Verhandlungsspielräume kaum aus. Schlimmer noch ist, dass viele Freie nicht einmal eine Vorstellung davon haben, wie hoch ein vernünftiges Honorar eigentlich sein müsste...“ („Ratgeber Freie: Kunst und Medien“).

Lehrer und Lehrer

Auch freiberufliche Dozenten wandeln, einkommensbezogen, eher auf der sonnenabgewandten Seite der Arbeitsweltkugel. Da ist ein Lehrer. Er arbeitet 26 Stunden in der Woche und erhält ein Gehalt, das ihn materiell sorgenlos sein lässt. Und da ist ein anderer Lehrer, der unterrichtet auch 26 Stunden pro Woche – und erhält vom Sozialamt die Erlaubnis, sich billige Lebensmittel in einem Tafel-Laden abzuholen. Wie kann das sein? Nun, der erste ist ein „richtiger“ Lehrer an einer „echten“ Schule. Der bzw. die Zweite ist freiberufliche Dozentin und unterrichtet Deutsch als Fremdsprache an der VHS Moers.

Arbeit und Armut

Sabrina Staats ist Alleinerziehende und kam einmal ins Gespräch mit einer Klassenpflegschaftsvorsitzenden. Als sie ihr erklärte, dass sie wegen ihres Einkommens nicht die Schulspende von 120 € zahlen könne, bekam sie zu hören, dass „es ja jedem Mal passieren kann, dass man arbeitslos ist.“. Später fiel ihr ein, was sie der Frau am liebsten entgegent hätte: „Ich habe Arbeit – und lebe trotzdem in Armut!“ Jahre lang waren sie und ihr Kind nicht krankenversichert: zu teuer.

Arbeiten mit Augenringen

18 Euro Stundenlohn erhält ein VHS-Dozent durchschnittlich in NRW . Er muss sich auf mindestens drei Monate Ferien einstellen. Und so gibt es nicht wenige, die –wie Oktay Canbaz aus Duisburg- über Wochen sich zehn Unterrichtsstunden täglich zumuten. Auch sein Duisburger Kollege Daniel Wöstefeld Kloppt jede Woche jede Menge Stunden und trägt dafür dunkle Augenringe. Er hat es aufgegeben, seinem Bankangestellten seine prekäre Einkommenssituation zu erklären: Der Mann versteht´s einfach nicht. Auch wird er nicht verstehen, dass Wöstefeld gar nichts verdient, sollte er einmal krank werden!

Honorarverträge

„Der nebenamtliche pädagogische Mitarbeiter ist freier Mitarbeiter aufgrund eines Dienstvertrages gem. §§ 611 ff. BGB. Durch diesen Vertrag wird weder in arbeits- noch sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht ein Dauer- oder Festanstellungsverhältnis mit der VHS begründet.“ So klingt der Sound von VHS-Honorarverträgen – keine Chance also für einen Stammplatz im volkhochschulischen Orchester.

Fast einzigartig die VHS Duisburg: Hier werden i. d. R. gar keine Verträge abgeschlossen – Details stehen im VHS-Programmheft. Dem Autor ist es recht, muss er doch jedes Semester bis zu 20 Verträge abschließen. Korfkamp und Steuten wundern sich über die vertragslose Praxis und betonen die Verbindlichkeit, Klarheit und gegenseitige Absicherung durch Honorarverträge. Sehr unterschiedlich geht es bei der Fahrtkostenerstattung zu: von 0 Euro bis zur Erstattung des Bahntickets ist alles möglich; auch hängt es ab von der Entfernung und z. T. vom Verhandlungsgeschick.

Ausfall von Veranstaltungen

Vereinbarte Vorträge finden häufig statt; hier wird i. d. R. auf Voranmeldungen und damit auf eine Mindestteilnehmerzahl verzichtet. Das heißt aber auch, dass der Referent ggf. vor einem Hörer vorzutragen hat. Häufig laufen Fachbereichsleiter zu spekulativer Höchstform auf: Kommen viele oder wenige? Warum kamen viele oder wenige? (Wetter? Konkurrenzveranstaltungen? Fußball im TV?...) Und Seminare? Es galt mal eine Mindestteilnehmerzahl von zehn Personen, aber „von dieser Personenzahl haben wir uns hier schon längst verabschiedet“, meint Peter Michael Schüttler von der VHS Mülheim. Seine Erkenntnis: Lust, Zeit und Geld für Wochenendseminare haben deutlich abgenommen – vor allem, „wenn sie nicht direkt beruflich verwertbar sind.“

Ausfallhonorar

Ein richtiges Fass kann man aufmachen, wendet man sich dem Thema Ausfallhonorare zu. Dieses wird unterschiedlich gehandhabt. Die VHS Krefeld, so Robert Claßen, bezahlt ein 100%-ges Ausfallhonorar bei Vorträgen. Kleinert bestätigt dies auch für die VHS Duisburg. In Viersen, so Fachbereichsleiter Peter Hufer, arbeitet man mit 50 %. In Moers, so Steuten, variiert man zwischen 0 Euro (bei vorheriger Absage) und einem Honorar von einigen Unterrichtsstunden. Ein Ausfallhonorar von i. d. R. 34,- € zahlt die VHS Rheinberg.
„Ausfallhonorar ist ein diffiziles Thema“, meint Schüttler / VHS Mülheim. „Da haben es Einrichtungen leichter, die grundsätzlich keins zahlen.“ In Mülheim sei es „eine Ermessensfrage: gar kein Geld, Zwei-Stunden-Honorar, ein Drittel des vereinbarten Honorars: die Entscheidung liege beim Fachbereichsleiter

Wunder nicht ausgeschlossen

Bei Seminaren bedarf es der Voranmeldungen. Ist das erforderliche Teilnehmer-Minimum nicht erreicht (z. T. verhandelbar: geringere TN-Zahl = geringeres Honorar), so wird der Seminarleiter einige Tage vorher über den Ausfall informiert – was sehr ärgerlich sein kann, da er oft schon in der Vorbereitung steckt; häufig gibt es dann gar kein Honorar. Das gehöre halt, so ein Fachbereichsleiter, „zum Berufsrisiko“ . Doch persönliche Sympathie und Wertschätzung können Wunder wirken: Der Autor erlebte ein solches, als nach einem Seminarausfall plötzlich unverhofft 150 € auf seinem Konto glänzten und sein Herz wärmten.

Rechtsanspruch auf 100 % - aber ...

Uwe Meyeringh (ver.di – Landesbezirk NRW) verweist auf § 615 BGB und meint, dass sich daraus u. U. ein Rechtsanspruch auf ein Ausfallhonorar bis zu 100 % ableiten lasse. Als Freiberufler mit Abenteuer-Neigung kann man es ja mal versuchen mit dem Einklagen von 100 %. Bald schon würde ein solcher Störenfried in VHS-Kreisen zum Thema werden und traurige Berühmtheit erlangen – so deutete es ein ansonsten recht honoriger VHS-Leiter an.

Schlussbemerkungen

Will man als Freiberufler im Weiterbildungsbereich arbeiten, so sollte man zuvor in den inneren Dialog treten und sich fragen, ob man
  • u. U. auch längere Phasen mit geringerem Einkommen aushält und verzichten kann
  • ein Mensch ist, der mit Unsicherheit umgehen kann und nicht alles immer unter Kontrolle haben muss
  • die Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben auch durchlässiger gestalten kann.

Wer denkt, nach einer Phase der Freiberuflichkeit später in eine Festanstellung zu wechseln, der muss sich im Klaren sein, dass man –je länger man als Freier fern von Hierarchie, Teamwork und Fremdbestimmung arbeitet- auf umso mehr Bedenken bei einem Arbeitgeber stößt... .


Rainer Spallek


Schlagworte zu diesem Beitrag: Freiberufler/Selbstständige, Volkshochschule, Honorar
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 17.07.2009