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Die Auseinandersetzung um ökonomische Bildung in den allgemeinbildenden Schulen

Wirtschaft in der Schule

„Schülerinnen und Schüler müssen in der Schule Grundkenntnisse wirtschaftlichen Handelns lernen!“

Wer wollte dieser Aussage in dieser Allgemeinheit ernsthaft widersprechen?

Sei es ihre Rolle als Kunde/in, sei es ihre künftige Rolle in Ausbildung und Beruf: Es ist Konsens, dass Schülerinnen und Schüler im Rahmen des schulischen Unterrichts Grundkenntnisse über unser Wirtschaftssystem erhalten müssen.

Brisant wird die Aussage jedoch, wenn man fragt, was der Gegenstand dieses Unterrichts sein soll. Inhalte und Methoden ökonomischer Bildung sind höchst umstritten. Einzelne gesellschaftliche Gruppen und finanzkräftige Akteure verfolgen sehr eng gefasste Ziele, für die sie politische Strategien entwickeln und für die sie zuhauf Materialien produzieren, die sie den Schulen in der Regel unentgeltlich zur Verfügung stellen und für die sie Weiterbildungsangebote für Lehrer/innen unterbreiten.

So sorgt sich der Bankenverband, um ein herausragendes Beispiel zu nennen, dass Schülerinnen und Schüler elementare Produkte des Bankgeschäftes nicht kennen, was ihn veranlasst hat, eine entsprechende Unterrichtshilfe erstellen zu lassen.

Auch die Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ bietet den Lehrerinnen und Lehrern in großer Zahl Lehrmaterialien an, Materialien, in denen zumeist eine einseitige, betriebswirtschaftliche, angebotsorientierte und neoliberale Deutung wirtschaftlicher Zusammenhänge vorherrscht, in denen die Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht selten als Hemmnis für wirtschaftliche Entwicklung gedeutet und Gewerkschaften entweder nicht vorkommen oder sehr einseitig dargestellt werden.

Parallel zu dieser Strategie, die sich in einer Reihe von Angeboten zur Verbesserung der Kontakte zwischen „Schule und Wirtschaft“, so der Name für das gleichnamige Netzwerk der Arbeitgeber, fortsetzt, haben die Arbeitgeberverbände auch die Forderung nach einem eigenständigen Fach „Wirtschaft“ an den allgemeinbildenden Schulen in die Debatte eingebracht. Sie haben es vermocht, eine Reihe von Unterstützern bis in den politischen Raum zu gewinnen. Ihr großer Einfluss auf die Ausgestaltung der Lehrpläne, der sich beispielhaft etwa an den Lehrplänen im Fach Politik und Wirtschaft (PoWi) in einzelnen Bundesländern nachzeichnen lässt, ist unverkennbar.

Hinter diesen Aktivitäten verbirgt sich ein weitreichender Wandel im Verständnis schulischer Bildungsprozesse. Der „Primat des Politischen“ verdreht sich zu einem „Primat der Ökonomie“. Die Darstellung wirtschaftlicher Zusammenhänge wird nicht mehr als Teil des Sozialkundeunterrichts, sondern Sozialkunde als Teil des Wirtschaftsunterrichts interpretiert. Wirtschaft erscheint dann wie selbstverständlich in ihrer privaten, gewinnwirtschaftlich organisierten und von gesellschaftlichen Prozessen weitgehend abgelösten Form. Alternativen wie etwa genossenschaftliches Produzieren, die Hinterfragung, ob alle gesellschaftlichen Bereiche privatwirtschaftlichen Regeln folgen müssen – alle diese Themen und Fragestellungen tauchen dann nicht oder nur noch verkürzt auf.

Als Leitbild erscheint der deregulierte Neoliberalismus. Volkswirtschaftliche, soziale, ökologische Dimensionen wirtschaftlichen Handelns kommen zu kurz. Das Handeln der Individuen leitet sich in der Regel aus dem „Homo oeconomicus“ ab, jener Kunstfigur, die für den Arbeitskraft -Unternehmer bestimmend wurde und für die „Solidarität“ ein Fremdwort ist.

Es sind vor allem drei Defizite, die die Auseinandersetzung um ökonomische Bildung an Schulen beherrschen:
  1. die Einseitigkeit der Darstellung ökonomischer und sozialer Zusammenhänge

  2. die daraus folgenden Defizite in der Darstellung ökonomischer Sachverhalte

  3. die häufig fehlende Fachkompetenz der Lehrenden, die sie anfällig machen für die Materialflut und die leichtfertige Übernahme von Informationen und Arbeitshilfen.

Unstrittig ist, dass wirtschaftliche und arbeitsweltliche Zusammenhänge Gegenstand des schulischen Unterrichts sein müssen. Schülerinnen und Schüler müssen gut auf die Arbeitswelt, auf Ausbildung und Beruf vorbereitet werden. Die Schulen unternehmen inzwischen eine Reihe von Aktivitäten und die Gewerkschaften unterstützen sie dabei.

Es gibt einen Grundkonsens politischer Bildung, der nicht aufgegeben werden darf und der auch zu einem Maßstab in der Beurteilung von Unterrichtsmaterialien herangezogen werden kann:
  • Unterricht muss schülerorientiert sein,

  • er muss verschiedene Positionen und Perspektiven darstellen

  • er muss den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben und sie befähigen, ein eigenständiges Urteil zu entwickeln.

„Sozioökonomische Bildung“, so wie sie sich die Gewerkschaften vorstellen, ist zudem interdisziplinär und praxisorientiert. Sie behandelt die ökonomischen, sozialen, ethischen, ökologischen und technischen Zusammenhänge von Arbeit und Wirtschaft. Sie bereitet Schülerinnen und Schüler auf eine selbstbewusste und mitgestaltende Rolle in Berufsausbildung und Arbeitswelt vor.

Mit diesen Broschüre leistet die IG Metall einen Beitrag dazu, dass die Auseinandersetzung um ökonomische Bildung eine größere Öffentlichkeit erfährt. Sie weist auf wichtige Defizite hin und unterstützt Lehrerinnen und Lehrer dabei, eine gute, schülerorientierte und an der Ausprägung des Urteilsvermögens, und der Entwicklung der Handlungskompetenzen von Schülerinnen und Schülern ausgerichtete Unterrichtspraxis zu realisieren.


Quelle: Vorwort der Broschüre „Wirtschaft in der Schule, Die Auseinandersetzung um ökonomische Bildung in den allgemeinbildenden Schulen“, IG Metall Dezember 2010


Sie können die vollständige Broschüre hier als pdf-Datei herunterladen


Schlagworte zu diesem Beitrag: Ausbildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 23.12.2010