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Bundesregierung kürzt die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik auch in 2013

Ein Blick zurück

Nach der Bundestagswahl 2006 stritten sich die Koalitionspartner der damaligen Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD über eine Umsatzsteuererhöhung. Die Steuer sollte erhöht werden, doch die ungelöste Frage war, wie viele Prozentpunkte aufgeschlagen werden sollten.

Die CDU/CSU wollte 3 Prozentpunkte mehr (von 16 auf 19 %), die SPD eigentlich nur 2 Prozentpunkte. So traf man sich in der Mitte. Die Steuer wurde um 3 Prozentpunkte erhöht, aber 1 Prozentpunkt sollte einem guten Zweck dienen.

„Mit einem Prozentpunkt der höheren Mehrwertsteuer verringert die Bundesregierung die Lohnnebenkosten. Denn hohe Lohnnebenkosten sind ein Hindernis für neue Arbeitsplätze. Deshalb senkt die Bundesregierung den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent über 4,2 Prozent im Jahr 2007, auf 3,3 Prozent im Jahr 2008. Das entlastet Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 2007 um insgesamt 17 Milliarden Euro und ist ein wichtiger Anreiz für mehr Beschäftigung.“ (Bundesregierung 2006)

Die Sache hat jedoch einen Haken. Steuern sind, wie in der Ökonomie so schön beschrieben, nicht zweckgebundene Zwangsabgaben ohne Gegenleistung. In normales Deutsch übertragen heißt das: Eine einmal eingeführte Steuer kann für alles Mögliche eingesetzt werden. Die damals abgegebene Erklärung der Bundesregierung war nichts weiter als ein Versprechen, einen Prozentpunkt der Umsatzsteuer für die Arbeitslosenversicherung bereitzustellen. Das hätte der SPD bei dem Deal eigentlich bekannt sein müssen.

So versuchte man, die zugesagte Förderung der Bundesagentur für Arbeit (BA) durch einen Passus im Sozialgesetzbuch abzusichern:

"§ 363 SGB III Finanzierung aus Bundesmitteln

(1) Der Bund beteiligt sich an den Kosten der Arbeitsförderung. Er zahlt an die Bundesagentur für das Jahr 2012 7,238 Milliarden Euro. Für die Kalenderjahre ab 2013 verändert sich der Beitrag des Bundes jährlich entsprechend der Veränderungsrate der Steuern vom Umsatz; hierbei bleiben Änderungen der Steuersätze im Jahr ihres Wirksamwerdens unberücksichtigt."


Bei der Formulierung fällt eines auf. Zwar wird davon gesprochen, dass das Geld von „Steuern vom Umsatz“ genommen werden soll, doch von einem Prozentpunkt ist nicht die Rede. Dagegen wird ein fester Betrag angegeben. Damit ist die ursprüngliche Regelung bereits der jeweiligen Kassenlage unterworfen.


Von einem Prozentpunkt für die Arbeitslosenversicherung ist schon lange nicht mehr die Rede“

Der Bund plant in diesem Jahr mit Umsatzsteuereinnahmen von 196,35 Mrd. Euro. Nun teilt sich die Umsatzsteuer bekanntlich in den allgemeinen Steuersatz von 19 % und den ermäßigten Steuersatz von 7 %. Ob mit der damals getroffenen Vereinbarung gemeint war, einen Prozentpunkt der gesamten Umsatzsteuereinnahmen oder einen Prozentpunkt der Steuereinnahmen vom Steuersatz 19 % zu nehmen, ist wird nicht wirklich klar. Die Steuereinnahmen werden auch nicht getrennt nach den jeweiligen Umsatzsteuersätzen ausgewiesen. Tricksen war damit jederzeit möglich. So schreibt die BA in ihrem Geschäftsbericht vom 2. Quartal 2012:

“Einnahmen gemäß Â§ 363 SGB III

Zum teilweisen Ausgleich der gesunkenen Einnahmen durch die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge erhält die BA seit 2007 in jedem Jahr einen Beitrag des Bundes, der zunächst dem Aufkommen eines Prozentpunktes der allgemeinen Mehrwertsteuer eines Jahres entsprach. Für 2012 sind Einnahmen in Höhe von 7,238 Mrd. EUR eingeplant, die der BA regulär erst am Ende des Jahres zufließen.“


Danach ist der Prozentpunkt nur bezogen auf den allgemeinen Umsatzsteuersatz von 19 %, von der restlichen Umsatzsteuer gibt es nichts. Der Hinweis, die Förderung hätte „zunächst dem Aufkommen eines Prozentpunktes der allgemeinen Mehrwertsteuer eines Jahres“ entsprochen, lässt vermuten, dass die Förderung schon länger abgesenkt worden ist.


Die Bundesregierung bricht einmal gegebene Versprechen

Die Bundesregierung befindet sich, was die Finanzen der BA angeht, in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite hat sie die BA mit den umstrittenen Eingliederungsleistungen im Bereich des SGB II finanziell belastet. Da in den letzten Jahren die Mittel für die Eingliederungsleistungen von ihr massiv gekürzt wurden, reduzierte sie gleichzeitig den von der BA an den Bund zu leistenden Beitrag.

„Eingliederungsbeitrag

Für den Eingliederungsbeitrag, mit dem sich die BA zur Hälfte an den geplanten Aufwendungen des Bundes für Eingliederung und Verwaltung in der Grundsicherung für Arbeitssuchende beteiligt, sind im Haushalt 4,0 Mrd. EUR veranschlagt. Die Endabrechnung des Jahres 2011 ergab eine Erstattung von 178 Mio. EUR, so dass nun lediglich 3,8 Mrd. EUR zu zahlen sein werden.“
(Geschäftsbericht BA)

Jetzt rechnen wir mal nach: Nach dem SGB stehen der BA in 2012 Mittel aus der Umsatzsteuer von 7,238 Mrd. Euro zu. Dem stehen Zahlungen für die Eingliederungsleistung von 3,822 Mrd. Euro gegenüber. Netto bedeutet das eine Förderung des Bundes in Höhe von 3,416 Mrd. Euro.

Wenn in 2013 beide Regelungen aufgehoben werden, werden die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik um gut 3,4 Mrd. Euro gekürzt. Mindestens gekürzt, denn es ist davon auszugehen, dass die Steuereinnahmen steigen und der Eingliederungsbeitrag weiter sinken wird.

Eine Senkung des allgemeinen Umsatzsteuersatzes auf 18 % ist nicht geplant. Nach der Logik von 2007 wäre der Prozentpunkt ab 2013 aber gar nicht mehr nötig. Doch wie heißt es so schön: Was schert mich mein Geschwätz von gestern.


Die Sozialversicherung wird wieder einmal zum Verschiebebahnhof des Finanzministers“

Der Gesetzentwurf sieht eine einmalige Kürzung bei der Krankenversicherung von 2 Mrd. Euro in 2013 und eine Kürzung in der Rentenversicherung von 1 Mrd. Euro in 2012 und danach 1,25 Mrd. Euro jährlich vor. Schon das ist sozialpolitischer Raubbau an den Sozialkassen.

Doch besonders dreist will sich die Bundesregierung an der Arbeitslosenversicherung bereichern. Nach ihrer Berechnung würde der Bundeszuschuss für die BA in 2013 gerade einmal 6,127 Mrd. Euro betragen. Nach 7,238 Mrd. Euro in 2012. Und das bei steigenden Steuereinnahmen. Würde wie ursprünglich versichert, 1 Prozentpunkt des allgemeinen Umsatzsteueraufkommens für die Förderung bereit gestellt, müsste von mindestens 7,5 Mrd. die Rede sein.

Dem ständen bei den Eingliederungsleistungen erlassene Beiträge der BA von ca. 3,975 Mrd. Euro gegenüber. Doch bereits in 2012 muss die BA hier weniger aufwenden, Tendenz fallend. Die Bundesregierung rechnet ihre eigenen Zahlungsverpflichtungen künstlich herunter, die der BA künstlich nach oben. Nur so ist es ihr möglich, die Kürzung der Bundesmittel auf 2,152 Mrd. Euro „schönzurechnen“.

Warum macht sich die Bundesregierung so viel Mühe, die Zahlen künstlich zu schönen? Sie benötigt ein Argument für die Kürzungen. Das sind die erwarteten Überschüsse der BA in 2012. „Aufgrund der anhaltend günstigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und der strukturellen Auswirkungen des im November 2011 verabschiedeten Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt ist die Bundesagentur für Arbeit finanziell stabil aufgestellt. Sie wird bis zum Jahr 2016 voraussichtlich kein Darlehen des Bundes benötigen und Rücklagen aufbauen,“ so die Bundesregierung in ihrer Begründung für den Gesetzentwurf. Was sagt die BA dazu. „Auf Basis der Frühjahrseckwerte der Bundesregierung rechnet die BA weiterhin mit einem Jahresüberschuss von rd. 1,3 Mrd. Euro.“ Die BA geht von einem Jahresüberschuss von 1,3 Mrd. Euro aus, die Bundesregierung möchte rechnerisch in 2013 gut 2 Mrd. Euro kürzen. Das aber nicht einmalig, sondern jedes Jahr bis 2016. Und real beträgt die Kürzung bereits in 2012 etwa 3,7 Mrd. Euro.

Die Bundesregierung will den Bundeshaushalt auf Kosten der Sozialversicherungen sanieren. Gegebene Versprechungen wie bei der Umsatzsteuerhöhung 2007 werden schamlos gebrochen. Die Zahlen werden trickreich geschönt. Die Leidtragenden sind die Erwerbslosen, bei denen die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik weiter gekürzt werden. Griechenland kommt näher. Am 11. September im Deutschen Bundestag gibt es die erste Lesung des Gesetzes.


Peter Schulz-Oberschelp
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Hier können sie die Bundestagsdrucksache zum Gesetzesvorhaben der Bundesregierung herunterladen.

Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 04.10.2012