Der Kommentar

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„Haribo Colorado“ – die wöchentliche Wundertüte für Teilnehmer und Dozenten

Seit mehreren Jahren unterrichte ich wöchentlich mehrtägig in einem Bildungsträger-Projekt Migrantinnen in EDV, Deutsch und Englisch. Das Projekt war bisher einjährig angelegt und ging bis dato nahtlos in die Verlängerung mit einem Anschlusskurs. Entgegen anderslautender Ankündigungen wurde dann aber der Beginn des letzten Kurses um zwei Monate nach hinten verschoben. Begründung: nicht genügend Teilnehmerinnen.

Mir tat sich ein schwarzes Loch auf, an dessen Grund eine schreiende rote Minuszahl von 1.500 Euro im Monat in mein gerötetes Auge stach. Ein wenig konnte ich das durch eine Vertretungstätigkeit in einem anderen Projekt kompensieren, den Verlust aber nicht annähernd ausgleichen.

Im Juni atmete ich auf, als mein nächster Durchgang mit den Migrantinnen begann. Planungssicherheit für ein Jahr – so dachte ich. Denn im selben Monat war passenderweise auch der Förderunterricht an zwei Hamburger Stadtteilschulen – mein zweites Standbein – durch Auslaufen des Projektes weggebrochen.

Im Juli trat eine geschätzte Kollegin mit einem verlockend erscheinenden Angebot an mich heran: eine mehrwöchige Urlaubsvertretung mit anschließender Weiterbeschäftigung in einem Qualifizierungsprojekt für Arbeitsuchende mit Migrationshintergrund und weiteren Teilnehmern mit gesundheitlichen Einschränkungen. Ich richtete mich auf einen Bewerbungsworkshop mit wechselnden Teilnehmern ein – ein Heimspiel.

Treffer! Versenkt! Zwei Aufträge in etwa gleicher Größenordnung – eine ideale Situation, um die Miete zu sichern, auch wenn ein Auftrag plötzlich ausfallen würde. Dozentenherz, was willst du mehr? So dachte ich.

Dann kam die erste Hiobsbotschaft: Das einjährige Projekt mit den türkischstämmigen Frauen sollte plötzlich nicht erst im Juni des nächsten Jahres, sondern schon im November des laufenden enden – aus Kostengründen. Die Gewinnschwelle sei deutlich unterschritten: zu wenig Teilnehmerinnen mit Bildungsgutschein. Es leuchtet ein, dass ein Projekt mit fünf Teilnehmerinnen nicht kostendeckend zu betreiben ist, aber das hätte man doch schon zu Anfang des Projektes wissen können, oder?

So hätte man den Flurschaden geringer halten können – jetzt haben die Teilnehmerinnen und Dozenten das Nachsehen – ein Cursus interruptus dient dem Image des Trägers sicherlich nicht. Jetzt musste für alle Teilnehmerinnen mit heißer Nadel eine Anschlussperspektive gestrickt werden.

Noch nicht genug der Wasserstandsmeldungen: Später sollte das Projekt bis Ende des Jahres gehen, damit die Teilnehmerinnen noch Computerprüfungen ablegen und anschließend ins Praktikum gehen könnten. Stand jetzt: Nach Rückkehr des vorherigen Projektleiters soll doch bis Mitte Januar, schließlich aber bis Ende Februar unterrichtet werden. Wer soll da noch planen?

Szenenwechsel: Im Qualifizierungsprojekt beim anderen Träger heißt es nun, dass nicht nur ein Bewerbungsworkshop im PC-Raum stattfinden, sondern auch ganztägig im Klassenraum unterrichtet werden soll – zu verschiedenen Themen und in verschiedenen Fächern. Nun gut, warum nicht?

Die Wochenpläne wurden freitags am Nachmittag für die kommende Woche ausgeteilt, später auch schon donnerstags. Ich unterrichtete dienstags in der Folgewoche, also lief die Uhr ab Freitag der Vorwoche: Zur Bibliothek oder zum Buchhändler laufen, recherchieren, einlesen und versuchen, aus sperrigem Material etwas Vernünftiges für den Unterricht zu schnitzen für eine thematische Haribo-Colorado-Wundertüte mit regelmäßigen Überraschungen – von Entspannung, Selbstmanagement über Umgang mit Depressionen, von Politik- und Wirtschaftsthemen bis zu Kommunikation und Konflikttraining.

Neben der Vorbereitung, für die ich oft die gleiche Zeit aufwenden musste wie für den Unterricht, kam natürlich auch noch Kopierzeit und begleitende administrative Tätigkeit hinzu, ganz zu schweigen von Kopiererausfällen und unklarer Raumbelegung. Gern waren auch mal zwei Gruppen in einem PC-Raum untergebracht bei gleichzeitiger Bespaßung durch zwei Dozenten.

Außerdem wechselten Anfangs- und Endezeiten quasi in wöchentlichem Wechsel. Eine sehr heterogene Teilnehmerstruktur und eine große „Umschlagshäufigkeit“ in der Verweildauer und bei der Teilnehmerzuordnung zu den Dozenten sorgten nicht dafür, dass ein vertrauensvolles Verhältnis mit den Teilnehmern entstehen konnte, was mir in meiner bisherigen Arbeit immer wichtig war.

Diese Belastungsfaktoren führten dazu, dass ich zunehmend angespannt und gereizt war und mich auch am Wochenende nicht mehr genügend regenerieren konnte. Schließlich zogen der Projektleiter und ich die Reißleine: Wir einigten uns darauf, dass ich nur noch freitags die Bewerbungswerkstatt durchführe und den Dienstagsunterricht abgebe.

Was bei mir an Eindrücken bleibt? Ich frage mich, welchen tieferen Sinn solch eine Wundertüte an Unterrichtsthemen haben soll. Ich bin unzufrieden über die schlechte Organisation und ich bin erleichtert, rechtzeitig die Entscheidung getroffen zu haben, in einem sehr belastenden Umfeld nicht mehr zu unterrichten und mich nicht weiter aufzureiben. Das hätte auf Dauer zu physischen oder psychischen Beeinträchtigungen geführt.


ein Beitrag aus der ver.di-AG Freie und Honorarkräfte Hamburg

Schlagworte zu diesem Beitrag: Freiberufler/Selbstständige
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 01.06.2015