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Leipziger Erklärung der Institute und Abteilungen für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in Deutschland zur sogenannten „Flüchtlingskrise“

An den Instituten und Abteilungen für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaF/DaZ) der Universitäten und Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland bilden wir seit über vierzig Jahren die Lehrkräfte und ExpertInnen aus, die die deutsche Sprache als Fremd- und Zweitsprache an Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Bildungsinstitutionen im In- und Ausland vermitteln. Zusammen mit dem Fachverband Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (FaDaF) melden wir uns hiermit zu Wort, um die Öffentlichkeit und die politisch Verantwortlichen auf die folgenden Punkte aufmerksam zu machen:

1. Der anhaltende Zuzug einer großen Zahl von Geflüchteten nach Deutschland stellt alle Beteiligten, insbesondere die Zuwandernden selbst, vor große Herausforderungen. Die bisherigen Bemühungen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Institutionen, aber auch vieler Einzelpersonen, Geflüchtete in Deutschland willkommen zu heißen und ihre Situation zu verbessern und zu erleichtern, sind sehr zu begrüßen. Die entstandene Willkommenskultur, die es bisher in Deutschland so nicht gegeben hat, stellt eine historische Errungenschaft dar, die es in Zukunft zu wahren und weiterzuentwickeln gilt.

2. Die Aneignung der deutschen Sprache ist ein Schlüssel zu einer erfolgreichen gesellschaftlichen Teilhabe in Deutschland; darüber besteht in der bisherigen Diskussion weitgehend Konsens. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass sich so viele Menschen in den letzten Monaten ehrenamtlich darum bemüht haben, Geflüchtete beim Erwerb deutscher Sprachkenntnisse zu unterstützen. Das ehrenamtliche Engagement auch im Bereich der sprachlichen Integration war und ist ein wesentliches und auch perspektivisch unverzichtbares Element der Willkommenskultur. Aber: In Öffentlichkeit und Medien entsteht gelegentlich der Eindruck, als wenn es für die Lösung der Aufgabe, die Zuwandernden sprachlich und kulturell mit der bundesdeutschen Gesellschaft vertraut zu machen, weder tragfähige Konzepte noch ausgebildete Fachleute gäbe, so dass notgedrungen auf ad-hoc-Lösungen zurückgegriffen werden müsse. Dem ist energisch zu widersprechen.

Wir wollen die ehrenamtlich Tätigen mit unserer fachlichen Expertise nach besten Kräften unterstützen. Doch Ehrenamtliche dürfen nicht die Hauptlast tragen, denn eine wirksame und nachhaltige sprachliche Integration benötigt professionelle Strukturen und Rahmenbedingungen. Das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache hat Konzepte für genau diese Aufgabe entwickelt und ExpertInnen für genau diesen Zweck ausgebildet, die zum Einsatz kommen können und sollten. So gibt es ausgearbeitete und erprobte Konzepte zu Fragen der Sprachbildung unter Bedingungen von Migration, Mehrsprachigkeit und kultureller Diversität.

3. Die politischen AkteurInnen bieten allerdings diesen ExpertInnen, auf die die Gesellschaft dringend angewiesen ist, nicht die Arbeitsbedingungen, die ihrer Qualifikation und der Bedeutung ihrer Aufgabe angemessen sind. Die Bezahlung in den Orientierungs- und Integrationskursen, die Neuankommende durchlaufen sollen, ist kläglich und erfolgt zudem auf Honorarbasis. Befristete oder gar unbefristete sozialversicherungspflichtige Stellen, die den KursleiterInnen eine halbwegs gesicherte Existenz ermöglichen würden, gibt es kaum. Es gibt auch keine Anzeichen, dass Änderungen an dieser skandalösen Praxis geplant sind.

Lediglich im Schulbereich sind in einzelnen Bundesländern seit kurzem Bewegungen erkennbar, nachdem sich die Verweigerung der Kultusministerien, DaF/DaZ-AbsolventInnen zur Einstellung in den Schulen zuzulassen, angesichts der aktuellen Situation nicht mehr durchhalten lässt. Ob damit eine grundsätzliche Kursänderung verbunden ist, ist jedoch nicht absehbar. Ergebnis dieser kurzsichtigen Politik ist, dass eine Tätigkeit als Fachkraft für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in Deutschland völlig unattraktiv ist.

4. Diese Zustände werden seit Jahren zu Recht als unhaltbar kritisiert. Wir erneuern hiermit diese Kritik: zum einen im Interesse der Zugewanderten, deren Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft auf diese Weise unnötig erschwert wird; zum zweiten im Interesse der Gesellschaft, die sich - gerade dafür steht ja die humanitär ausgerichtete Reaktion der Bundesregierung auf die „Flüchtlingskrise“ und die deutsche „Willkommenskultur“ – mittlerweile als Einwanderungsgesellschaft begreift, aber daraus noch nicht die erforderlichen Konsequenzen gezogen hat; und zum dritten im Interesse unserer AbsolventInnen, die in diesem Land keine angemessenen beruflichen Perspektiven vorfinden.

5. Die Konsequenz muss sein, die DaF/DaZ-Infrastruktur in der Bundesrepublik nicht nur quantitativ auszubauen, wie es derzeit zu Recht geplant ist, sondern sie auch - und zwar auf Dauer - qualitativ zu verbessern. Das Arbeitsfeld Deutsch als Fremd- und Zweitsprache ist aufzuwerten. Dies muss sich erstens in einer deutlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen der DaF/DaZ-Lehrenden in den Integrationskursen niederschlagen. Zweitens ist den DaF/DaZ-AbsolventInnen als SpezialistInnen der Zugang zu Festanstellungen im Schuldienst zu ermöglichen. Gleichzeitig muss Deutsch als Zweitsprache in allen Bundesländern in allen Schulfächern eine Rolle spielen und daher in die Lehramtsausbildung für alle Fächer und für alle Schularten integriert werden. Und drittens ist das Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an den Universitäten und Hochschulen finanziell und personell deutlich zu stärken.

Das Erlernen der deutschen Sprache ist eine wichtige Voraussetzung für eine partizipative Integration. Die Gesellschaft hat es in der Hand, im Sinne dieses Satzes jetzt die richtigen Weichen zu stellen, damit Deutschland als Einwanderungsland erfolgreich ist. Damit würde ein wichtiges politisches Signal gesendet, nach innen wie nach außen.


Quelle: Leipziger Erklärung vom März 2016


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Ausbildung, Volkshochschule, Freiberufler/Selbstständige
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 17.03.2016