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Berufsbildungsbericht 2019

Zahl der Jugendlichen ohne Berufsabschluss steigt weiter an

Stellungnahme der Gruppe der Beauftragten der Arbeitnehmer zum Berufsbildungsbericht 2019


Der Ausbildungsmarkt zerfällt in parallele Welten. Auf der einen Seite gibt es rund 57.000 unbesetzte Ausbildungsplätze, auf der anderen Seite sind fast 80.000 Jugendliche akut auf der Suche nach einer Ausbildung. Insgesamt wurden 531.414 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. Das sind 8.124 mehr als im Jahr zuvor und entspricht einem Anstieg von 1,6 Prozent. Auch das Angebot von Ausbildungsplätzen ist gestiegen. Gleichzeitig mündeten mehr ca. 270.000 Jugendliche in die zahllosen Maßnahmen im Übergang von der Schule in die Ausbildung. Wer die 54.100 jungen Menschen, die trotz einer Alternative zur Ausbildung ihren Vermittlungswunsch weiter aufrechterhalten nicht ignoriert, wird feststellen, dass die ehrliche (erweiterte) Angebotsnachfragerelation bei 96,6 gemeldeten Stellen zu 100 suchenden Jugendlichen lag. Von einem auswahlfähigen Angebot ist man also noch weit entfernt.

Die Zahl der Jugendlichen ohne Berufsabschluss steigt weiter auf 14,2 Prozent der jungen Menschen im Alter von 20 bis 34 Jahren. Das sind 2,12 Millionen in diesem Alter. Sie sind die Hochrisikogruppe auf dem Arbeitsmarkt und fühlen sich von den demokratischen Kräften oft nicht mehr gesehen und angesprochen.

Besonders dramatisch ist die Lage auf dem Ausbildungsmarkt im Ruhrgebiet, in den mittleren Städten Hessens und Niedersachsen sowie im Norden Schleswig-Holsteins. Wir dürfen nicht zulassen, dass in Oberhausen, Bochum, Hameln, Flensburg oder auch Nordbrandenburg eine abgehängte Generation heranwächst. In diesen Regionen muss der Staat, ergänzend zur betrieblichen Ausbildung, auch außerbetriebliche Plätze anbieten.

In wirtschaftlich starken Regionen Bayerns, Baden-Württembergs und Rheinland-Pfalz gibt es viele Ausbildungsstellen die nicht besetzt werden konnten. Um die ungleiche Entwicklung in den Regionen auszugleichen, sollte die Mobilität der Bewerber/-innen unterstützt werden. Im Zentrum steht das Angebot einer kostengünstigen Unterbringung. Die Einrichtung von Azubi-Wohnheimen ist eine Möglichkeit.

Offene Plätze gibt es aber insbesondere auch im Osten Deutschlands. In Greifswald, Schwerin, Bernburg (Sachsen-Anhalt) oder Jena blieb 2018 rund jeder fünfte Ausbildungsplatz unbesetzt. Allein bei den Fleischerinnen und Fleischern gibt es im gesamten Osten nur noch 192 neue Ausbildungsverträge, ganze 131 Plätze blieben unbesetzt. Kurzum: In manchen Regionen und Branchen gibt es keine Ausbildungskultur. Hier finden Betriebe keine Azubis und viele junge Menschen machen einen weiten Bogen um die duale Ausbildung.


Berufliche Bildung besser machen

Wer wirklich berufliche Ausbildung stärken möchte, muss genau hier ansetzen. Die Gründe, weshalb sich Jugendliche für oder gegen eine Ausbildung entscheiden, sind gut erforscht. Der Ausbildungs-beruf muss die Jugendlichen interessieren. Junge Menschen erwarten eine gute Qualität ihrer Ausbildung und eine faire Bezahlung während und nach der Ausbildung. Die Ausbildungsvergütung ist sicher nicht der einzige, aber ein wichtiger Punkt, an dem junge Menschen (und ihre Eltern) den Wert einer Ausbildung messen.

Die Bundesregierung möchte hier gegensteuern – und will eine Mindestausbildungsvergütung einführen. Die Mindestausbildungsvergütung ist nur da notwendig, wo sich Arbeitgeber ihrer Verantwortung als Tarifpartner entziehen. Und da gibt es ein massives Ost-West-Gefälle. Der Anteil der Betriebe, die freiwillig eine Vergütung nach Tarifvertrag zahlen, ist im Osten deutlich geringer als in Westdeutschland, schreibt das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in seiner Auswertung der Ausbildungsvergütungen.

Ein Beispiel ist das Fleischerhandwerk: Nur noch einen einzigen Flächentarifvertrag weist die BIBB-Datenbank für diese Branche im Osten aus. Gerade einmal 310 Euro bekommen junge Azubis dort im ersten Ausbildungsjahr; der Vertrag gilt zudem nur für Sachsen. Der Haken an diesem Tarifvertrag: Er stammt aus dem Jahr 2010, wurde im April 2011 von der DGB-Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) gekündigt, die seither die Arbeitgeber vergeblich auffordert einen neuen Vertrag zu verhandeln. Seit fast einem Jahrzehnt weigern sich die Arbeitgeber in Sachsen nun stand-haft ihren Azubis auch nur einen müden Cent mehr zu zahlen. Die NGG hat deshalb angefangen, mit einzelnen Unternehmen Tarifverträge abzuschließen, die mitunter auch über den Forderungen des DGB für eine Mindestvergütung liegen. Diese Firmen haben deutlich bessere Chancen ihre Ausbildungsplätze auch besetzen zu können.

Die Arbeitgeber möchten diese Billig-Modelle nicht antasten, sondern aufwerten, indem sie ihnen künftig das Etikett „Mindestvergütung“ aufkleben wollen. Die Gewerkschaften wollen diese Dumping-Ausbildung durch ihr Modell der Mindestvergütung abschaffen. Keine Ausbildungsvergütung darf nach dem DGB-Modell mehr als 20 Prozent unter dem tariflichen Durchschnitt liegen. Für das erste Ausbildungsjahr läge die Vergütung somit bundesweit bei 660 Euro brutto im Monat.

Eine solche Mindestausbildungsvergütung löst zwar nicht alle Probleme, ist aber ein wichtiger Schritt, um Ausbildung besser und attraktiver zu machen. Sie hilft vor allem dort, wo Arbeitgeber sich weigern mit Gewerkschaften die Höhe der Vergütung zu verhandeln. Wer dagegen seine Azubis anständig bezahlt, braucht die Einführung einer Mindestvergütung nicht zu fürchten. Grund zur Freude hätten nach unseren Berechnungen aber rund 127.000 Jugendliche, die am Monatsende mit mehr Geld nach Hause gehen könnten.

Die schulische Berufsausbildung in Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufen sowie die Ausbildungen in der Pflege erweisen sich ebenso wie die dualen Ausbildungsgänge als Rückgrat der Berufsbildung in Deutschland. So haben im Berichtsjahr knapp 179.000 junge Menschen eine Ausbildung in der schulischen Berufsausbildung des Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialwesen aufgenommen. Dies muss ausführlicher Teil der Berichterstattung werden.


Reform der Pflegeausbildung

Mit attraktiven Ausbildungsbedingungen können mehr Auszubildende für die Pflegeberufe gewonnen und nach ihrer Ausbildung im Beruf gehalten werden, wenn ihnen eine gute Perspektive geboten wird. Doch das neue Pflegeberufegesetz ist nicht mehr als ein Kompromiss. Positiv ist zwar, dass die Not-wendigkeit anerkannt wird, die Abschlüsse in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und Alten-pflege zunächst beizubehalten – allerdings ist das zunächst nur bis 2025 garantiert.

Ein fatales Signal ist, dass die Altenpflege durch eine Absenkung des Kompetenzniveaus abgewertet wird. Vielmehr muss der Beruf dringend aufgewertet werden. Aufgrund der gestiegenen Anforderungen braucht es eine qualitativ hochwertige Ausbildung, die den anspruchsvollen Anforderungen an die pflegerische Versorgung gerecht wird.

Wir begrüßen, dass das BIBB bestimmte Zuständigkeiten im Rahmen der Forschung und Begleitung der Arbeit der Fachkommission erhält, die die Rahmenpläne für die neuen Pflegeausbildungen erarbeiten soll. Kritisch sehen wir allerdings, dass die neu eingerichtete Fachkommission von den zuständigen Ministerien nicht sozialpartnerschaftlich besetzt ist. Für die Gestaltung der neuen Ausbildungen wäre es sehr wichtig, dass die Sicht der Beschäftigten berücksichtigt wird.


Ausbildungsoffensive Pflege

Die „Ausbildungsoffensive Pflege“ ist ein wichtiges Signal der Bundesregierung, um mehr Menschen für die Pflegeberufe zu begeistern. Angesichts des Pflegenotstandes braucht es gemeinsame Anstren-gungen aller Beteiligten, um die Pflegeberufe attraktiv zu machen. Entscheidend ist, dass Auszubil-dende nicht nur gewonnen, sondern durch attraktive Bedingungen und eine faire Bezahlung nach der Ausbildung auch im Beruf gehalten werden. Derzeit macht sich der Personalmangel schon in der Ausbildung bemerkbar. Überstunden, Zeitdruck, kurzfristiges Einspringen, Zeitmangel der Praxis-anleiterinnen und -anleiter sind in vielen Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen tägliche Realität. Auszubildende dürfen nicht als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. Gute Ausbildung braucht Zeit, eine nachhaltige Stärkung der Praxisanleitung und zusätzliches, gut qualifiziertes Personal.


Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen

Die Neuordnung und Stärkung der Gesundheitsfachberufe im Rahmen eines Gesamtkonzeptes wurde im Koalitionsvertrag angekündigt. Hier müssen zügig weitere Schritte folgen. Die Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen (Heilberufe) müssen an veränderte Anforderungen angepasst und die Bedingungen verbessert werden. Die Vielzahl der unterschiedlichen Regelungen sollte vereinheitlicht werden.


Ausbildung in Sozial- und Erziehungsberufen

Eine systematische Erfassung der Ausbildungssituation in den Sozial- und Erziehungsberufen, der „Grundausbildung“ Sozialassistent/-in, sozialpädagogische/-r Assistent/-in, Kinderpfleger/-in und der Weiterbildung zum/zur Erzieher/-in hat bislang nicht stattgefunden. Es ist dringend notwendig in den folgenden Berichterstattungen einen differenzierten Überblick über das Ausbildungssystem, welches in den Ländern organisiert wird, zu gewinnen.

Dazu gehören die Fragen nach:
  • Struktur der Ausbildungen
  • der Einbeziehung von Lernorten (Berufsfach- und Fachschule, Hochschule und sozial-pädagogische Arbeitsfelder und deren Verknüpfung)
  • Ausbildungskapazitäten und Nachfrage
  • Ausbildungsverträgen und Ausbildungsvergütung
  • Lehrkräften in der schulischen Ausbildung
  • Anleitung in der praktischen Ausbildung
  • Anfänger/-innen- und Absolvent/-innenzahlen differenziert nach Ausbildungen
  • Bedarfsprognosen
  • Umschulungen
  • Quereinstiegen

Duales Studium gewinnt weiter an Bedeutung


Auch das Duale Studium hat mit mittlerweile mehr als 100.000 Studierenden eine wachsende Bedeutung im System beruflicher Qualifizierung. Die Entwicklung in den dualen Studiengängen muss zukünftig daher ebenfalls Teil des Berufsbildungsberichts der Bundesregierung werden. Hinsichtlich der Formate des dualen Studiums braucht es einen Regelungsrahmen zur curricularen Verzahnung von Studien- und Praxisphasen sowie arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen. Einen ersten Ansatz böte die Erweiterung des Geltungsbereichs des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) auf Praxisphasen praxis-integrierter dualer Studiengänge.


Berufliche Weiterbildung nur unzureichend erfasst

Berufsbildung endet nicht mit beruflicher Erstausbildung. Gestiegene Bildungsansprüche, steigende Weiterbildungsneigung und zukünftige Herausforderungen durch digitalen und sektoralen Struktur-wandel haben die Bedeutung von beruflicher Weiterbildung in den letzten Jahren deutlich erhöht. Dies spiegelt sich jedoch nicht im Berufsbildungsbericht wieder. Es ist aus unserer Sicht unzureichend, ausgewählte einzelne Förderprogramme im Bereich der beruflichen Weiterbildung zu beschreiben. Wir halten es für zeitgemäß und angebracht, den Berichtsteil zur beruflichen Weiterbildung und insbesondere zur beruflichen Fortbildung stärker auszubauen und dabei auf längst vorhandene Datenquellen und Forschungsergebnisse zurückzugreifen. Zudem werden keine Rückschlüsse aus den Beschreibungen zur Wirkung der berufsbildungspolitischen Aktivitäten und Programme zur Förderung von beruflicher Weiterbildung gezogen und in den Bericht integriert.


Quelle: Stellungnahme der Gruppe der Beauftragten der Arbeitnehmer zum Berufsbildungsbericht 2019, DGB 15.03.2019


Hier kann der der Datenreport und der Berufsbildungsbericht heruntergeladen werden.

Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Ausbildung, Berufliche Weiterbildung, Qualifizierung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 16.04.2019

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 29.03.2024